Interview mit Peter Philipp
(last modified Wed, 11 Jul 2018 19:30:00 GMT )
Jul 11, 2018 21:30 Europe/Berlin

Die Unterdrückung bürgerlicher Freiheiten, die Verfolgung von Opposition. Und auch die Verfolgung von Minderheiten, die Bekämpfung von Kurden unter dem Schlagwort, das seien alles Anhänger der PKK und das seien alles Terroristen. Alles das sind Hinweise davon, dass Erdogan mit Demokratie nicht allzu viel am Hut hat.

Interview auf Youtube: https://youtu.be/clpBjZoZY6M

 

ParsToday: Herr Philipp, ich darf Sie ganz herzlich begrüßen zu diesem Interview.

Philipp: Guten Tag.

 

ParsToday:  Guten Tag, Herr Philipp, am 24. Juni fanden in der Türkei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Entgegen allen Umfragen haben Erdogan und seine Partei nicht nur an Stimmen nicht eingebüßt, sondern ihre Position weiter ausgebaut. Dazu höre ich gerne zunächst einmal ihre Analyse.

Philipp: Ja, das ist in der Tat eine Überraschung gewesen, besonders für den Hauptgegenkandidaten, der ja dann schon in Wahlnacht eingestand, selbst wenn es nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen sein mag hier und da in Wahllokalen, so ist der Vorsprung Erdogans doch so groß, dass so viel gar nicht gemogelt worden sein kann. Und da räumt er schon in der Wahlnacht seine Niederlage ein, hat aber versprochen, er werde eine wichtige Rolle in der Opposition des Landes führen. Und das muss man jetzt natürlich erst einmal abwarten, ob er überhaupt diese Rolle, die er da übernehmen will jetzt, ob er die überhaupt ausführen kann. Denn Oppositionspolitiker zu sein in der Türkei unter Erdogan, ist nicht ein großes Vergnügen. Es wird sich natürlich erst noch erweisen müssen, ob der unterlegene Oppositionsführer tatsächlich diese Rolle übernehmen kann, von der er seit der Wahl spricht, denn politische Oppositionen in der Türkei Erdogans zu repräsentieren,  ist kein großes Vergnügen. Die meisten Oppositionspolitiker und Anhänger der Oppositionsparteien haben wirklich große Probleme und die werden sicher nicht kleiner werden. Viele der politischen Oppositionellen sitzen im Gefängnis, andere sind ins Ausland geflohen, wieder andere sind mundtot gemacht worden. Und daran dürfte sich nichts ändern, ganz besonders deswegen nicht, weil ja die Machtfülle Erdogans durch die Verfassungsänderungen, die er ja langfristig vorbereitet hatte, nun viel größer ist als in der Vergangenheit. Er hat heute ein präsidiales Regierungssystem. Er ist Präsident und Regierungschef gleichzeitig. Er kann mit Dekreten operieren, wie es jemand anders im Weißen Haus ja auch tut. Aber man wir ihm,   im Gegensatz zu Trump,  wahrscheinlich in der Türkei überhaupt keinen Widerstand leisten können, denn auch die Justiz, die ja dazu in der Lage wäre eigentlich, ist schon durch die Maßnahmen Erdogans in den letzten zwei Jahren erheblich behindert worden und wird wahrscheinlich auch eine sehr zweitrangige bis drittrangige Rolle spielen in der neuen Türkei, die Erdogan nun schaffen wird.

 

ParsToday: Herr Philipp, die Türkei hatte mit der inzwischen alten Ordnung so gute Erfahrungen gemacht. Aus welcher Notwendigkeit heraus soll nun diese Verfassungsänderung vorgenommen werden?

Philipp: Ich nehme an, die einzige Notwendigkeit ist der Machthunger von Erdogan, denn er kann damit ziemlich unbehindert regieren. Er kann unbehindert Dinge durchsetzen, die er ja zum Teil auch so schon hat durchsetzen können, weil er eben wirklich eine starke Partei hinter sich hat, eine zahlenmäßig starke Partei hinter sich hat. Aber mit einer verfassungsmäßig zugesicherten Machtposition als ein regierender Präsident so wie in Frankreich, so wie in den USA, da ist seine Macht fast unbeschränkt.

 

ParsToday: Was bedeutet dies für die Demokratie in der Türkei Herr Philipp?

Philipp: Grundsätzlich ist das natürlich sehr schädlich für die Demokratie, für jede Demokratie, wo ein machthungriger an die Spitze steuert und dann das weiterfortsetzen will, was er in den letzten Jahren bereits demonstriert hat. Die Maßnahmen, die Erdogan ergriffen hat gegen die Opposition - ich sagte es ja schon - sind alles andere als demokratisch. Die Unterdrückung bürgerlicher Freiheiten, die Verfolgung von Opposition. Und auch die Verfolgung von Minderheiten, die Bekämpfung von Kurden unter dem Schlagwort, das seien alles Anhänger der PKK und das seien alles Terroristen. Alles das sind Hinweise davon, dass Erdogan mit Demokratie nicht allzu viel am Hut hat. Das einzige, was ihn offensichtlich in der Bevölkerung und auch in der Wählerschaft weiterhin als attraktiv dastehen lässt,  sind seine Erfolge auf wirtschaftlichem Gebiet. Die Türkei hat zumindest in den ersten Jahren der Herrschaft von Erdogan gewaltige Fortschritte auf wirtschaftlichem Gebiet gemacht. Und viele Türken sind sich dessen bewusst und sind zufrieden damit und fragen nicht groß nach Bürgerrechten und Pressefreiheit und anderen Dingen mehr, sondern sie freuen sich darüber, dass es ihnen heute besser geht, als in der Vergangenheit. Aber  die allgemeine Situation - dieses wirtschaftliche Wohlergehen, dieser Wohlstand -  ist durch den  Ausnahmezustand, der jetzt auch schon seit Jahren anhält,  in der Türkei gefährdet langfristig. Das scheinen aber die Wähler Erdogans sich nicht recht überlegt zu haben.

 

ParsToday: Herr Philipp, wie wirken sich diese Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei auf die Türkei-EU-Beziehungen aus?

Philipp: Die EU ist damit natürlich nicht zufrieden. Die Beziehungen zur Türkei sind aber ohnehin belastet. Es gab ja einige - besonders zwischen Deutschland und der Türkei aber auch zwischen anderen EU-Staaten und der Türkei - einige Belastungen in den letzten Jahren. Und das verdeutlicht sich vor allen Dingen in der Problematik eines möglichen EU-Beitritts der Türkei. Dieser ist heute in noch weitere Ferne gerückt als es ohnehin schon war, denn es gibt in der EU sehr starke politische Kreise, die sagen, die Türkei hat schon allein aus geografischen Gründen nicht eine Rolle in der EU zu spielen. Sie kann der EU nahe sein, aber sie ist nicht Teil Europas. Wenigstens der größte Teil der Türkei liegt nicht in Europa, sondern in Asien und deswegen ist die Türkei  für die EU nicht vereinbar im Rahmen der EU, sondern sie könne Partner sein, aber nicht mehr. Und so, wie die Dinge in der Türkei im Moment laufen,  widersprechen sie vielen Grundsätzen der EU. Und deswegen wird es da keine Fortschritte auf absehbarer Zeit geben.

 

ParsToday: Herr Philipp, nun, wenn Sie das ganze zusammenfassen wollen in Bezug auf die Innenpolitik aber auch Außenpolitik, wie schaut diese Zusammenfassung aus?

Philipp: Ja, die Türkei hat sich wirklich entschieden, einen Weg zu gehen, von dem die Wähler wohl gehofft haben und weiterhin hoffen, dass das das Land weiter voranbringt. Die Beobachter, die meisten ausländischen und auch oppositionellen Beobachter, sind allerdings  da anderer Meinung, sie befürchten und das tue ich eigentlich auch, dass die Türkei damit weiter Rückschritte machen wird und dass die Türkei auch in der Region nicht die Rolle spielen wird, von der Erdogan seit langem träumte. Als der arabische Frühling in den ersten Erfolgsmonaten war, da hoffte Erdogan, dass er eine führende Rolle in der Islamischen Welt spielen könne. Er wurde ja auch gefeiert in Ägypten als ein großes Vorbild. Wirtschaftserfolge und vieles andere mehr, das wolle man in Ägypten genauso wie in der Türkei. Und er hoffte, dass er das ausnutzen kann, um die Position der Türkei in der Islamischen Welt zu stärken. Aber das ist ihm nicht gelungen. Es ist ihm auch deswegen nicht gelungen, weil er eine sehr unrühmliche Rolle gegenüber Syrien gespielt hat, besonders natürlich gegenüber der Führung in Damaskus und gegenüber den Kurden in Nordsyrien. Und das tut er weiterhin. Er hat sich, als die Kurden in Nordsyrien an der Grenze durch die Zentralregierung gefährdet waren,  zurückgehalten. Und nachdem die Kämpe dort etwas nachgelassen hatten, hat er angefangen,  selbst in Syrien einzugreifen. Unter Erdogan ist die Türkei zu einer kriegsführenden Partei in Syrien geworden und das wird den Türken noch sicher sehr böse aufstoßen. Denn ich kann  mir nicht vorstellen, dass das im Sinne der türkischen Bevölkerung ist, dass man mit einem Nachbarstaat, unter welchen Gründen auch immer, die angeführt werden, nämlich dort seien nur Terroristen entlang der Grenze, in Konflikt gerät. Diese Gründe, die gelten wirklich nicht. Das glaube ich nicht, dass die türkische Bevölkerung das auf Dauer akzeptieren kann.

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