Islam richtig kennenlernen (33)
Wir sprechen heute über die Gerechtigkeit Gottes. Dass Gott gerecht ist und Seinen Dienern niemals Unrecht tut, davon sind nicht nur die Muslime, sondern auch die Juden und Christen überzeugt.
Nicht nur in den Versen des Korans sondern auch in den Überlieferungen des Propheten (Gottes Segen sei auf ihm und Friede seinem Hause) wird diese Eigenschaft Gottes hervorgehoben. Aus der Geschichte erfahren wir über folgende Begebenheit: Einmal betrat ein Jude die Moschee und stellte dem Propheten einige Fragen über die Einheit Gottes und Seine Eigenschaften, zum Beispiel fragte er: Begeht dein Gott Unrecht? Der Prophet (s) antwortete: Nein.“
Der Jude fragte ihn: „Warum nicht?“ Da antwortete der Prophet: „ Weil Er weiß, dass Unrecht hässlich ist und weil Er es nicht nötig hat, Unrecht zu begehen!“ Der Jude wieder: „Hast du diesbezüglich von Gott eine Offenbarung erhalten?“
Der Prophet (s) bejahte und dann zitierte er für ihn aus dem Koran.
Die Gerechtigkeit ist ein wichtiger Wesenszug Gottes. Ihre Bedeutung ist so groß, dass sie zusammen mit der wichtigsten Eigenschaft Gottes nämlich dem Tauhid, der Einheit, genannt wird und einen besonderen Platz in den islamischen Überzeugungen einnimmt. In der schiitischen Lehre gilt die göttliche Gerechtigkeit (Adl) als wichtiges Glaubensprinzip.
Die göttliche Gerechtigkeit ist deshalb von so großer Bedeutung, weil ein enger Zusammenhang mit weiteren Glaubensprinzipien und islamischen Werten besteht wie zum Beispiel hinsichtlich Aussendung von Propheten und dem Jüngsten Gericht , oder auch Belohnung der Rechtschaffenen und Bestrafung der Sünder, oder im Zusammenhang mit der Entscheidungsfreiheit des Menschen, sowie in Bezug auf Gefahren, Krankheiten und Naturkatastrophen.
Der Heilige Koran hält immer wieder zur Gerechtigkeit an und tadelt Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Aufgrund seiner Lehren liegt Gott, dem Gepriesenen, jegliches Unrecht an Seinen Geschöpfen fern. Er ist davon rein. In dem Vers 18 der Sure Ale Imran (Sure 3) heißt es:
„Gott bezeugt, dass Er der einzige Gott ist, außer Dem es keinen Gott gibt. Das bezeugen die Engel und die Wissenden. Er ist es, Der die Gerechtigkeit aufrechterhält."
Und in der Sure Yunus (10) lesen wir im Vers 44:
„Wahrlich, Allah fügt den Menschen kein Unrecht zu; die Menschen aber begehen Unrecht gegen sich selbst.“
Imam Ali (a) sagt: „Gott ist rein davon, dass er seinen Dienern ein Unrecht antut. Er behandelt Seine Geschöpfe gerecht….“
Gemäß Lehre des Islams bildet Gerechtigkeit die Achse aller Glaubens- und Verhaltensgrundsätze: Auf Gerechtigkeit sollen sowohl die spirituelle Wanderung des Einzelnen zu Gott als auch die Kommunikationen, der Wirtschaftsaustausch und die politischen Beziehungen usw. aufbauen.
Die gesamte Schöpfungsordnung beruht überhaupt auf der Gerechtigkeit Gottes (Adl) und auf Ausgeglichenheit; und ebenso das Jüngste Gericht und das Jenseits. Gott hat über das Schicksal des Menschen am Jüngsten Tag und die Belohnung bzw. Bestrafung seiner Taten in der Sure Anbiya (Sure 21) Vers 47 gesagt:
„Und Wir werden Waagen der Gerechtigkeit für den Tag der Auferstehung aufstellen, so dass keine Seele in irgendeiner Weise Unrecht erleiden wird. Auch wenn es (bei einer guten oder schlechten Tat) um das Gewicht eines Senfkorns geht, erfassen Wir es. Es genügt für die höchste Genauigkeit, dass wir die Abrechnung durchführen.“
Auch in den Überlieferungen wird die Gerechtigkeit Gottes zusammen mit Seiner Einheit und als eine Grundlage der Religion genannt. Imam Sadiq (gegrüßet sei er) sagt: „Fürwahr sind Tauhid und Adl (Einheit Gottes und Seine Gerechtigkeit) die Grundlage der Religion. (Scheich Saduq „Maani al Achbar“,S.11)
Aber was bedeutet „Adl“ genau? Das Wort „Adl“ wird unterschiedlich verwendet, zum Beispiel kann „Adl“ – Folgendes bedeuten: Ausgeglichenheit, Angemessenheit, die Mitte zwischen Über- und Untertreibung.
Imam Ali erklärt in der Weisheit 437 im Nahdsch-ul Balagha: „Die Gerechtigkeit sorgt dafür, dass die Dinge an ihrem (angemessenen) Platz sind, …“
Demnach ist die Gerechtigkeit dann gegeben, wenn alles an seinen angemessenen Platz zu stehen kommt.
Gott wird allgemein aus zweierlei Hinsicht als gerecht (adel) beschrieben. Einerseits mit Blick auf die Erschaffung der Daseinswelt und andererseits mit Blick auf die Gesetzgebung für die Menschen und die Festlegung von dem, was er im Leben tun und was er unterlassen soll. Einige unterscheiden noch nach einer dritten Gerechtigkeit Gottes nämlich der gerechten Vergeltung.
Wir möchten hier die Gerechtigkeit in der Daseinsschöpfung (Adl-e Takwini) betrachten.
Gott hat die Welt aufgrund von Gerechtigkeit erschaffen. In einem Hadith von Imam Ali (a) sagt dieser: „Adl ist eine Grundlage, auf der die Errichtung der Daseinswelt beruht.“
Auf welche Weise tritt nun die göttliche Gerechtigkeit in der Daseinswelt in Erscheinung ?
Die Religion lehrt uns, dass die Schöpfung auf Gerechtigkeit beruht. Gott hat jedem Geschöpf entsprechend seiner Eignung Gaben verliehen und er hat bei keinem Geschöpf eine Begabung und Fähigkeit unnütz sein lassen. Adl-e Takwini bedeutet, dass Gott bei der Erschaffung Gerechtigkeit walten und jedem Geschöpf entsprechend der Fähigkeiten seines Wesens Segen zukommen lässt und ihm entsprechend seiner Eignung Tugenden und Vollkommenheit verleiht.
Jeder wird zugeben, dass in der Schöpfung Ausgeglichenheit herrscht, und dies obwohl sie eine gewaltige und komplizierte Gesamtheit von Erscheinungen und Dingen bildet. Mit Gerechtigkeit in der Schöpfung ist gemeint, dass bei der Zusammensetzung der Dinge in der Welt genau das Prinzip der Eignung und Angemessenheit beachtet wurde und jeder Bestandteil der Schöpfung für sich auf vollendete Weise erschaffen wurde. Der Koran lässt uns in der Sure Rahman (55) im Vers 7 wissen´:
„Den Himmel hat er emporgehoben. Und er hat die Waage (und das Gesetz in ihm) aufgestellt“
Dieser Vers unterstreicht, dass der Erschaffung Gerechtigkeit zugrunde gelegt und das Prinzip des Ausgleiches beachtet wurde. Das heißt auf der ganzen Welt herrscht eine sehr ausgewogene Ordnung.
Wenn zum Beispiel die Sonne entsprechend ihrer Größe und ihres Gewichtes nicht den für sie geeigneten Platz einnehmen würde, wäre überhaupt kein Sonnensystem entstanden oder es wäre schnell wieder zunichte geworden. Ein anderes Beispiel:
Wenn wir den Ausgleich der Kräfte der Anziehung und Abstoßung von Himmelskörpern im Sonnensystem oder das Verhältnis der Abstände der Planeten zur Sonne entsprechend ihres Gewichtes und Volumens betrachten, wird uns klar, wie in der Weltordnung das Prinzip des Ausgleiches berücksichtigt wurde und dass jede Sache sich genau am richtigen Platz befindet.
Wenn wir über die Beziehung Gottes zur Welt nachdenken, werden wir feststellen, dass Gott eine endlose Macht und ein endloses Wissen für die Erschaffung besitzt. Seine Weisheit schließt mit ein, dass er alles völlig solide erschafft. Es gibt keine Grenzen für Gott, der die Schöpfungswelt absolut schön und gediegen erschaffen hat. Wenn wir also sagen, dass Gott „Adel“ ist, dann bedeutet es, dass Er nichts tut, was gegen Weisheit und Wohl verstößt, und damit erhält das Wort Adel - gerecht - eine umfassende Bedeutung.
Bei Betrachtung der Geschöpfe Gottes und der Natur mit ihrer großen Schönheit stellen wir eine feste Proportionalität fest. Zum Beispiel hat der Herr dem Baum, der eine elementare Rolle für den Lebenskreislauf der Erde hat, mit Wurzeln versehen, die tief ins Erdreich hineinreichen. Er verlieh ihm auch einen festen Stamm und eine hohe Baumkrone. Zugleich sorgte er für Proportionalität zwischen Wurzeln, Stamm Baumkrone und Blätterwerk. Auch bei den anderen Dingen in der Natur werden wir bei genauerem Hinsehen eine Art Ausgleich und Ausgewogenheit entdecken und diese Proportionalität hat Gott der Herr hervorgebracht.
Die Gerechtigkeit und Ausgewogenheit in der Schöpfungswelt kommt also dadurch zustande, dass ihre Bestandteile miteinander im Einklang stehen.
Schließlich ist noch zu sagen, dass selbstverständlich in der Schöpfungsordnung die Fähigkeit zur Nutzung des Daseins für jedes Geschöpf anders ist. Jedes Ding hat gemäß der Stufe, auf der es sich befindet, seine spezifische Eignung. Gott ist absolute Vollkommenheit. Er ist die Quelle des Segenflusses und hat jedem Wesen das gegeben, was es empfangen kann. Die göttliche Gerechtigkeit (Adl) in der Daseinsordnung bedeutet, dass jedes Geschöpf die Stufe der Vollkommenheit, die sein Recht ist, erhält und Gott seinen Segen von keinem Geschöpf, welches an diesen Segen gelangen kann, zurückhält.