Nov 25, 2016 12:01 CET

Liebe Hörerfreunde! Sie hören ein Geschichte aus Kalileh wa Demneh : Ein Reisigsammler hatte draußen vor der Stadt Brennholz gesammelt und war auf dem Rückweg.

Da sah er eine dunkle Silhouette zuerst in weiter Ferne und dann immer größer werdend. Schließlich erkannte er, dass es ein Kamel war, dass sich losgerissen hatte, und auf ihn zustürmte.

Große Angst überkam ihn. Er begann fortzurennen und warf unterwegs das Reisigbündel ab, damit er sich noch schneller vor dem aufgebrachten Tier irgendwohin in Sicherheit bringt. Da erblickte er einen Brunnen und dachte: Das ist die Rettung!

Der Reisigsammler hatte den Brunnen erreicht. Hastig ließ er sich in das Brunnenloch hineinhängen wobei er sich an den Zweigen eines Bäumchen, welches am Brunnenrand gewachsen war, festhielt. Es vergingen einige Augenblicken. Er hörte das Stampfen der Kamelhufe. Weil seine Arme müde wurden, suchte er mit den Füßen nach einem Halt an der Brunnenwand. Da spürte er etwas Festes unter ihnen. Erleichtert stellte er die Füße darauf. Nun musste er nur abwarten, das sich das wütende Kamel verzieht! Er schaute nach unten um feststellen, wo er seine Füße hingesetzt hat. Trotz des Dunkels im Brunnen konnte er schließlich erkennen, auf was er da mit den Füßen stand: Es waren vier Schlangenköpfe

Die Schlangen, die aus den Löchern der Brunnenwand lugten hätten den Armen Reisigsammler sofort gebissen, wenn er die Füße wieder hochgehoben hätte. Die Hände des armen Kerls begannen zu zittern. Er schaute nach unten: Wie tief war dieser Brunnen eigentlich ? Da bekam er noch mehr Angst, denn vom Brunnenboden funkelten ihm die Augen eines Drachens entgegen.

Nun wusste unser Reisigsammler wirklich nicht mehr aus und ein. Zum Glück gab es aber noch die zwei Zweige. Doch o weh! Er sah: Zwei Mäuse hatten sich daran gemacht diese Zweige zu durchnagen. Er versuchte sie zu verscheuchen. Ohne Erfolg. Da dachte er: Mit mir ist es vorbei.

Seine Hände würden bald so schwach sein, dass er sich nicht mehr festhalten kann oder die Mäuse würden die Zweige vollständig durchnagen. Er würde also dem Drachen da unten am Brunnenboden ins Maul fallen. Wegen der Schlangen durfte er sich sowieso nicht vom Fleck rühren.

Wieder dachte er: Ich muss die Mäuse mit einem Stein verscheuchen und tastete mit einer Hand den Brunnenrand nach einem Stein ab. Da bemerkte er ein leeres Bienennest, und bekam auf einmal großen Appetit. Er holte sich mit einem Finger etwas Honig heraus und steckte ihn in den Mund. Wie wunderbar der süße Honig war! Gleich wollte er sich noch eine Portion holen. Dieser Mann schien ganz vergessen zu haben, in welcher Lage er sich befand.

Er dachte nur noch an eines: Allen Honig aufzuessen.

Als dieser Honigschlecker plötzlich mit einem Ruck ein Stück tiefer in den Brunnen sank, kam er wieder zu sich. Da verging im die Lust auf Honig. Er sah wie die Mäuse gerade die letzten Fasern der Zweige durchbissen und es wurde ihm bewusst, welchen großen Fehler er begannen hatte. Und schon spürte er keinen Halt mehr. Sein entsetzeter Schrei beim Herabfallen hallte in dem Brunnen wider und schien zu sagen: Das geschieht jemandem recht, der in der Gefahr gedankenlos und gleichgültig ist und nichts unternimmt.

Hier nun eine weitere Geschichte, aus der ein Sprichwort hervorging: In der Stadt Marw, die früher im Iran lag und heute zu Turkmenien gehört, gab es einmal zwei gute Freunde. Sie mussten sich trennen, denn der eine wollte auf der Suche nach Wissen auf eine weite Reise gehen und der andere in der Stadt bleiben, um Handel zu betreiben.

Letzterer wurde ein reicher Mann und schließlich sogar zum Befehlshaber über Marw ernannt.

Es vergingen einige Jahre. Der Statthalter von Marw kaufte ein großes Haus, von dem aus er über Marw befehligte und schaffte sich viele Untertanen an. Er war sehr befehlshaberisch geworden und alle fürchteten ihn.

Da kehrte sein alter Freund als gelehriger Mann nach Marw zurück.

In Marw angekommen machte sich der Gelehrte gleich auf den Weg zu dem alten Haus des Freundes. Die Nachbarn berichteten, dass dieser nun als Befehlshaber in einem großen Herrenhaus wohne . Der Gelehrte freute sich über diese Nachricht. Gleich wollte er seinen Freund besuchen.

Doch am Tor zu dem Haus seines Freundes wurde er vom Torwächter unwirsch angehalten: „Du willst einfach, ohne zu fragen, das Haus des Befehlshabers betreten?! Wer bist du denn und was möchtest du?“

Der Gelehrte sagte: „Ich bin ein alter Freund des Befehlshaber. Nach vielen Jahren möchte ich ihn wiedersehen.“

Der Wächter aber sagte: „So geht das nicht! Setz dich dort unter die Platane und warte bis er aus dem Haus kommt. Wenn er dich erblickt und nichts dagegen hat dich zu sehen, kannst du mit ihm sprechen.“

Der Gelehrte setzte sich unter den großen Baum vor dem Haus seines alten Freundes . Erst bei herannahendem Sonnenuntergang war es soweit:

Der Befehlshaber trat umringt von einer Schar von Männern aus dem Haus . Während er mit diesen sprach, ging er auf seine Kutsche zu, bestieg sie und verließ den Ort ohne auch nur einen Blick auf seinen alten Freund geworfen zu haben. Der Gelehrte war geknickt, tröstete sich dann aber und dachte: Die anderen haben nicht zugelassen, dass er mich sieht. Vielleicht lag es auch am Dunkelwerden.

Am nächsten Morgen ging der treue Freund wieder zu dem Haus des Befehlshabers und wartete unter der Platane. Doch es geschah dass gleiche wie am Vortag. Er begriff , dass er ihn nicht so bald sprechen wird.

Nach einiger Zeit wurde der Befehlshaber von Marw wieder abgesetzt. Da machte sich der Gelehrte erneut auf den Weg zu seinem Haus. Diesmal konnte er ungehindert anklopfen. Der ehemalige Befehlshaber nahm ihn freudig in Empfang. Dann sagte er „Ich hätte nicht gedacht, dass du mich erst jetzt besuchst. Du hättest kommen sollen, als ich noch Befehlshaber war.“

Da erzählte ihm der Gelehrte wie oft man ihn nicht reingelassen hatte und wie oft er unter der Platane auf ihn gewartet hattet und sagte: „Du hast mich niemals bemerkt.“

Da gestand sein Freund ein, wie stolz er als Befehlshaber gewesen war, und sagte: „Ich war so eitel, dass ich noch nicht einmal diese große Platane vor meinem Haus gesehen habe, geschweige denn jemanden, der in ihrem Schatten saß!“

Das Sprichwort, das hieraus entstand lautet „Er ist wie der Chan von Marw geworden und sieht noch nicht einmal mehr die Platane vor seinem Haus. Dies sagt man wenn jemand an Geld und Ansehen gelangt und seine alten Freunden vergisst. Auf Farsi hört sich das so an: Methle Chan Marw schodeh, Tschenar Dscheluye Chaneh asch ra ham nemibinad!