Islam richtig kennenlernen (35)
Wir setzen uns zurzeit mit den Fragen zur Gerechtigkeit Gottes auseinander. Beim letzten Mal legten wir dar, dass Gott aufgrund seiner Weisheit Seine Geschöpfe verschieden erschaffen hat. In der Daseinsordnung haben nicht alle Dinge die gleichen Möglichkeiten aus dem Dasein zu schöpfen und bringen nicht die gleichen Voraussetzungen dafür mit.
Jedes Ding und Geschöpf hat Fähigkeiten in einem bestimmten Umfang. Deshalb ermöglicht Gott der Weise und Gerechte und Ausgangspunkt allen Segens jedem Ding, diejenige Stufe der Vollkommenheit zu erreichen, die seiner Eignung entspricht.
Warum sind nun aber die Menschen unterschiedlich erschaffen worden? Der eine ist hässlich und der andere schön. Der eine vollkommen und der andere nicht. Wieso wird der eine in eine reiche und der andere in eine arme Familie hineingeboren? Wir haben im letzten Teil die Unterschiede in der Daseinswelt als eine weise Wahrheit beschrieben und erklärt, wieso es in keiner Weise eine Benachteiligung oder Ungerechtigkeit darstellt, wenn die Dinge unterschiedlich erschaffen wurden. Durch diese Unterschiede in der Form und dem Aussehen wird vielmehr die Vielfalt in der Schöpfung hervorgerufen. Wir wollen uns mit einem weiteren Aspekt der Unterschiede befassen.
Die Unterschiede in der Art der Erschaffung ist die Folge der Gesetzmäßigkeit in der Daseinswelt. Die Schöpfungsordnung baut auf der Kausalität auf, nämlich auf dem Gesetz von Ursache und Folge und es gibt kein Ding, das ohne Ursache zustande käme. Die Beziehung zwischen Ursache und Folge gehorcht bestimmten Regeln, d.h. jede konkrete Ursache hat eine konkrete Folge. Zum Beispiel kommen unter bestimmten Bedingungen Kinder gesund auf die Welt und unter anderen Bedingungen sind sie bei der Geburt blind, taubstumm oder in anderer Weise unvollkommen. Es spielen zahlreiche Ursachen und Faktoren eine Rolle dabei, ob ein Neugeborenes gesund ist oder nicht. Zum Beispiel genetische, oder ort- und zeitbedingte Faktoren, die psychische und körperliche Verfassung der Eltern oder sogar deren Ernährung sind Faktoren, die alle bei der Entstehung und der embryonalen Entwicklung des Kindes mitwirken. Wenn die Blutgruppen der Eltern nicht zueinander passen oder wenn sie unter einer bestimmten Krankheit leiden, dann schadet es dem Ungeborenen. Wenn die Mutter während der Schwangerschaft nicht richtig auf sich achtgibt, so hat es ebenso unliebsame Folgen für ihr Kind. Es ist also natürlich, dass ein Kind unvollkommen auf die Welt kommt, wenn die Faktoren dafür gegeben sind.
Gott hat die Welt auf die beste Weise erschaffen, aber wir Menschen verwickeln uns selber aufgrund von Versäumnissen, Achtlosigkeit oder anderen Faktoren in Schwierigkeiten.
Jedenfalls liegen der Welt eine Ordnung und Gesetze zugrunde, und alles gehorcht Regeln. Wenn ein gesundes, makelloses Kind auf die Welt kommt, so war es das harmonische Zusammenspiel von positiven Faktoren und nicht anders zu erwarten. Und wenn ein Kind mit Mängeln geboren wurde, war es nichts anderes als die Folge von bestimmten Ursachen.
Es sei daran erinnert, dass einige Probleme und Ungemach, denen der Mensch begegnet, auf sein eigenes schlechtes Handeln zurückgehen, d.h. er selber hat dazu beigetragen. Der Mensch besitzt einen Willen und wenn er den falschen Weg geht, wird er auch mit den Folgen seines falschen Handelns konfrontiert. Diese unliebsamen Ereignisse bilden keinen Widerspruch zur göttlichen Gerechtigkeit. Wenn zum Beispiel jemand ohne Beachtung der Verkehrsvorschriften mit hohem Tempo einen Straße mit Schlaglöchern herunterrast, kann es sein, dass er einen schlimmen Unfall erlebt oder tödlich verunglückt. Oder wenn jemand nicht schwimmen kann und übermütig ins wogende Meer geht, kann es sein dass er ertrinkt. In solchen und ähnlichen Fällen muss der Mensch hier für seine eigenen Fehler büßen und einem anderen kann kein Vorwurf gemacht werden.
Es passieren aber auch unglückliche Ereignisse, an denen der Mensch selber nicht schuld ist. Wie zum Beispiel die Leiden von Unschuldigen im Krieg oder eines Kindes, welches mit Behinderungen auf die Welt kommt. Selbst wenn die Eltern an dieser Behinderung schuld sein sollten, so fragt es sich doch, warum das Kind, welches keinerlei Schuld trägt, bis ans Lebensende leiden muss.
Hierzu sei als erstes gesagt, dass jemand der Leid ohne eigenes Verschulden erduldet, dafür reichlich belohnt wird. Gott verleiht ihm im Paradies hohe Stufen. Imam Sadiq(a) : „Im Paradies gibt es einen Ort an den kein Diener (Gottes)gelangt, außer wegen eines Problems in seinem Körper (d.h. seinem Leiden an Krankheiten und körperlichen Schwierigkeiten).“
Menschen die Behinderungen oder Missbildungen ertragen, werden also von Gott wegen ihrer Krankheit und dem ertragenen Leid mit einem hohen Lohn bedacht. Um sich hierbei diese Dimension der göttlichen Gerechtigkeit besser zu vergegenwärtigen, sollten wir dabei bedenken, dass das Jenseits, in dem sie belohnt werden, endlos ist und die Welt demgegenüber in Wahrheit nur wie ein Augenblick anmutet.
Eine weitere Art bitterer Ereignisse sind Naturkatastrophen. Wie ist die Gerechtigkeit Gottes in der Daseinsordnung zu erklären, wenn es solche Katastrophen gibt? Wenn die Welt auf Gerechtigkeit und Weisheit basiert, warum dann ereignet sich hin und wieder an verschiedenen Orten der Welt ein Orkan, oder Erdbeben, eine Überflutung oder Dürre und hat Verluste und Verheerungen zur Folge? Wie sind solche Unbilden mit der Gerechtigkeit Gottes vereinbar?
Bei der Beantwortung müssen wir uns davor hüten, oberflächlich und voreingenommen zu urteilen. Natürlich sind Katastrophen schlimm und traurig, aber unser eigener Vor- bzw. Nachteil genügt nicht um ein Ereignis als gut oder schlecht zu beurteilen. Wenn jemand im Falle von Naturereignissen auf diese Weise urteilt, ist es nicht richtig und liegt an der Unkenntnis über die Regeln, die im Dasein herrschen.
Die stoffliche Welt befindet sich in einem stetigen Wandel. Bei genauer Betrachtung dieser Entwicklungen wird uns klar, dass ein Phänomen, welches uns vielleicht gerade geschadet hat, möglichweise für andere jetzt oder in Zukunft nützlich ist. Wir sollten wissen, dass die Entwicklung der Welt auf die Verwirklichung ihrer Bestimmung zugeht, und zwar zum Vorteil für das ganze Dasein, auch wenn auf dem Wege zu diesem Ziel für viele ein Schaden eintritt.
Zum Beispiel verursacht ein Sturm in einem bestimmten Gebiete große Schäden, aber auf der anderen Seite geht dieser Sturm aus den Luftströmungen hervor, die die Wolken von den Ozeanen zu den trockenen Gebieten bringen und diesen Regen bescheren. Wir alle kennen die vitale Rolle des Windes und der Wolken für das menschliche Dasein.
Durch den Regen, den die vom Wind verteilten Wolken mit sich bringen, werden weite Ebenen mit Wasser versorgt und können viele auf der Welt in diesen Gebieten leben und sich ernähren. Dies ist ein Segen für zahllose Menschen, auch wenn es hin und wieder bei zu großen Regenfällen Überschwemmungen gibt und die Häuser von Menschen beschädigt oder zerstört werden.
Bei unerwünschten Folgen eines Naturphänomens müssen wir für ein besseres Verständnis also die Gesamtheit der Wirkungen und Begleiterscheinungen dieses Phänomens in Betracht ziehen.
In diesem Zusammenhang sollten wir vielleicht auch von der Katastrophe sprechen, die sich am 26. Dezember 2004 ereignete. Sie ist ein bitteres aber auch lehrreiches Beispiel. Es ereignete sich ein Erdbeben im Indischen Ozean in der Nähe von Indonesien, welches Tsunamis auslöste die mit einer Geschwindigkeit von 800 km in der Stunde sich in Bewegung setzten und mit aller Wucht die Küsten von mehreren Ländern wie Indonesien, Thailand, Malaysia, Indien, Sri Lanka und sogar einiger ostafrikanischer Länder überrollten. Diese Naturkatastrophe hinterließ mehr als 170 Tausend Tote und Tausende Verschollene. Zahllose Häuser wurden zerstört und Millionen verloren ihre Unterkunft. Ein solches schmerzliches Ereignis wie Tsunamis wirft für uns die Frage auf, warum sich solche opferreichen Katastrophen in der Natur ereignen.
Das Erdbeben ist ein Naturereignis, das der Mensch nicht beeinflussen kann. Der Mensch kann bislang noch nicht einmal das Eintreten eines Bebens voraussehen, um auf diese Weise den Schaden zu reduzieren. Beim Beben der Erdkruste, welches unter dem Druck des Magmas im Inneren der Erde ausgelöst wird, kommt eine gewaltige Energie frei, welche zu den Zerstörungen in Umgebung des Erdbebenzentrums führen.
Dabei ist zu bedenken, dass Naturereignisse zu den normalen und öfters eintretenden Reaktionen der Natur gehören, die für uns manchmal als Katastrophen in Erscheinung treten. Diese Erscheinungen gehorchen dem Zusammenhang von Ursache und Folge, der auf der Welt herrscht und sind deshalb nicht befremdlich. Das Problem liegt darin, dass der Mensch die Schäden einiger dieser Phänomene nicht völlig in den Griff bekommt. Er hat jedoch bewiesen, dass er dank der Fähigkeit zum Nachdenken und Planen, die Gott ihm verliehen hat, vieler Naturereignisse und ihrer Schäden mächtig werden kann. Er kann zwar kein Erdbeben verhindern, aber er vermag aufgrund von wissenschaftlichen Methoden dessen schädlichen Folgen einzudämmen.