Jan 05, 2017 17:58 CET

Als erstes eine Fabel aus Kalileh wa Demneh: Unter einem Baum mitten im Wald lebte ein Maus und nicht weit von ihr eine Katze.

Die Maus ging natürlich tunlichst der Katze aus dem Weg. Eines Morgens sah sie zur ihrer Freude, dass ihr Feind in ein Fangnetz geraten war. Nun konnte sie unbeschwert auf Nahrungssuche gehen. Kaum hatte sie sich also frohen Herzens auf den Weg gemacht, als ihr einfiel, dass sie in ihrer Freude das Türchen vor ihrem Mäuseloch nicht verschlossen hatte. Sie wollte umkehren, da erblickte sie in der Nähe ihres Baumes einen Marder, der ihr auflauerte und oben im Baum hockte eine Eule . Erst überkam sie eine gewaltige Angst. Dann aber begann sie zu überlegen.

Die Maus dachte: Am besten versöhne ich mich mit der Katze. Sie ist ja im Netz gefangen und nur ich kann ihr da heraushelfen.

Die Maus eilte also in Richtung Katze und begrüßte sie freundlich im geeigneten Abstand mit: „Liebe Nachbarin. Was ist los?“

Die Katze äugte durch die Netzmaschen zur Maus herüber: „Das siehst du doch. Ich bin gefangen. Hast du dir das nicht immer schon gewünscht?!“ Die Maus antwortete: „Da urteilst du aber ungerecht. Es tut mir wirklich leid, dass du dem Tierfänger ins Netz gegangen bist. Zwar sind wir von Natur aus Feinde. Aber heute stecken wir beide in der Klemme. Der Marder und die Eule wollen mich auffressen, aber das wagen sie nicht, solange sie mich mit dir zusammen sehen. Wenn du versprichst mich zu retten, dann werde ich dich auch aus der Falle befreien.“ Die Katze dachte über den Vorschlag nach. Die Maus schien es ehrlich zu meinen. Und eines war ihr klar: Sie selber wollte so bald es geht, aus diesem Netz wieder heraus!

So sagte sie zur Maus: „Ich glaube dir, dass du es ehrlich meinst. Vielleicht wollte Gott, dass wir beide in die Klemme geraten, damit wir gute Freunde werden. Ich vertraue auf dein Ehrenwort und du kannst auch auf meines vertrauen. Ab heute sind wir Freunde!“

Die Maus sagte: „Nun, wenn wir Freunde sind, bitte ich dich um einen Gefallen. Ruf mich zu dir heran und dann tu etwas, dass Marder und die Eule sehen können, dass wir beide gute Freunde sind , und aus Angst vor dir, das Weite suchen.“ Die Katze willigte ein.

Sie rief die Maus laut und freundlich zu sich. Diese folgte ihrer Aufforderung und die Katze langte durch eine der Maschen und strich mit eingezogenen Krallen der Maus über den Kopf. Da wurde dem Marder und der Eule klar, dass sie der Maus nichts antun können, da sie es ansonsten mit der Katze zu tun bekommen.

Nun war die Maus an der Reihe, ihr Versprechen zu erfüllen. Sie begann langsam die Schnur des Fangnetzes durchzukauen. Der Katze aber hatte es eilig, aus dem Netz befreit zu werden. Sie dachte: Vielleicht will die Maus gar nicht, dass ich wieder auf freien Fuß bin. Daher begann sie zu drängeln: „Gleich kommt der Tierfänger! Wenn du dein Wort halten willst, musst du dich beeilen!“

Die Maus antwortete: „Ich halte mich an mein Versprechen! Aber klug ist jemand, der auch an sein eigenes Wohl denkt!“

Die Katze wunderte sich: „Was meinst du damit?“ Die Maus erklärte: „Bitte erwarte nicht von mir, dass ich deine Fesseln alle schnell und auf einen Schlag zerbeiße. Ich werde die letzte Masche erst zerbeißen wenn ich sicher bin, dass du mir nichts antun kannst.“

Nach zwei Stunden hatte die Maus mit ihren Zähnen fast alle Maschen geöffnet. Es fehlte nur noch eine, und die Katze hätte aus dem Netz herausschlüpfen können. Da hörten beide den Tierfänger kommen. Geschwind zerkaute die Maus auch die letzte Masche. Die Katze floh im letzten Moment vor dem Tierfänger und die Maus im letzten Moment vor der Katze.

Am nächsten Tag kroch die Maus vorsichtig aus ihrem Loch hervor. Da hörte sie die Katze von weitem grüßen. Sie blieb stehen. Die Katze rief: „Meine liebe Maus! Wir sind doch Freunde warum kommst du nicht näher? Ich möchte mich bei dir bedanken. Hab keine Angst: Ich werde dir nichts tun. Das habe ich doch geschworen. Vertrau mir!“

Doch die Maus rührte sich nicht vom Fleck: „Ich weiß, dass du mir gestern ein ehrliches Versprechen gegeben hast. Aber weißt du: Ein Freund ist ein Freund, wenn man keine Angst vor ihm haben muss . Und ein Feind ist ein Feind, weil er Leid zufügt. Für mich ist kein Tier ein größerer Feind als du. Es ist nur natürlich, dass ich heute wieder vor dir weglaufe. Wer klug ist, einigt sich mit dem Feind, wenn er keinen anderen Ausweg hat, aber wenn das nicht mehr nötig ist, hält er sich von ihm fern, weil es immer noch sein Feind ist.“

Heute erklären wir das Sprichwort: Jek Sabr kon wa hezar Afsus nachor

Ein König und eine Königin waren nach vielen Jahren kinderlos geblieben und darüber sehr traurig. Da Volk liebte den König und betete, dass Gott ihm ein Kind schenken möge. Gott erhörte ihr Gebet. Die Königin brachte einen Sohn zur Welt.

In der Zeit der Kinderlosigkeit hatte sich der König einen hübschen Marder zugelegt. Der war dressiert und bereitete dem König mit seinen niedlichen Kunststücken viel Freude. Der König hatte das drollige Wesen richtig lieb gewonnen und selbst als er Vater geworden war, mochte er es nicht in den Wald zurückschicken.

Eines Tages - das Kindermädchen des kleinen Königssohns war gerade eingeschlafen - kroch eine große Schlange in das Zimmer des kleinen Prinzen. Der Marder hatte die Schlange bemerkt und stürzte sich auf sie . Es kam an der Wiege zu einem heftigen Kampf zwischen Schlange und Marder. Der Marder tötete die Schlange und deren zerbissener Leib fiel in die Wiege hinein.

Von dem Lärm war das Kindermädchen aufgewacht. Herbeigestürzt, sah sie nur noch den Marder mit blutigem Maul aus der Wiege herausspringen. Da schrie sie: „O du eifersüchtiges Biest, du hast das Prinzlein gefressen!?!“

Sie zeterte und alle kamen ins Zimmer gestürzt. Auch sie sahen alle nur den Marder mit dem blutigen Maul, nicht aber die getötete Schlange. Der König zog außer sich vor Wut sein Schwert und tötete das arme Tier. Dann brach er in Tränen über den Tod seines Sohnes aus.

Als das Königspaar zur Wiege traten sahen sie dass ihr Kind lebte und erblickten auch den zerstückelten Schlangenleib . Da wurden ihnen klar, dass der Marder das wehrlose Kid vor der Schlange gerettet hatte.

Der König bereute es sehr, dass er ohne Gewissheit zu haben, das treue Tier getötet hatte. Aber was nützte das noch. Immer wenn er an die Geschichte zurückdachte, pflegte er zu sagen: Nur einmal musst du warten, um nicht tausendmal zu bereuen.

Daraus wurde unser heutiges Sprichwort.