Jan 05, 2017 21:22 CET

Hören Sie zunächst folgende Geschichte aus dem Golestan von Saadi:

Ein Darwisch besaß nichts als seine Hände und Füße, sein Auge, sein Herz und eine Zunge.

Dies war aus der Sicht eines Weisen natürlich kein geringer Besitz. Der Darwisch nutzte die Kräfte seiner Arme zum arbeiten und im Herzen liebte er Gott und dankte ihm mit seiner Zunge unentwegt.

Er wanderte barfuss von einer Stadt zur anderen. Eines Tages schloss er sich einer Karawane an, die gerade Kufeh verließ. Die Karawane wollte in das entfernte Hidschaz auf der Arabischen Halbinsel ziehen, aber der Darwisch hatte nicht danach gefragt.

Unter den Leuten in der Karawane war auch ein junger Reitersmann. Er fragte den Darwisch: „Wo willst du hin? Kehr zurück, denn sonst erwartet dich ein qualvoller Tod. Dies ist kein Weg, den du barfüßig und ohne Proviant zurücklegen kannst.“

Doch der Darwisch hörte nicht auf ihn.

Der junge Reitersmann war stark und reich. Gesund und fröhlich . Er sagte zu seinen Reisegefährten: „Dieser Darwisch da wird bald zusammenbrechen und sterben. Ich habe ihm gesagt, er soll umkehren. Aber er hat nicht darauf gehört. Bald wird er einsehen, dass er auf mich hätte hören sollen. Aber dann wird es viel zu spät sein.“

Der Darwisch folgte der Karawane unermüdlich zu Fuß, ohne Schuhe und Kopfbedeckung: hungrig, durstig und müde. Schließlich erreichte die Karawane eine Oase .Dort machten sie halt um ein wenig auszuruhen und etwas zu essen.

Da ereignete sich etwas unerwartetes: Der junge reiche Bursche starb. 

Der Darwisch ging zu dem jungen Burschen, der ausgestreckt auf der Erde lag. Er setzte sich neben ihn und sagte: „Ich bin nicht an den Strapazen gestorben, aber du bist gestorben, obwohl es dir doch so gut ging!“.

Doch der junge Mann konnte ihn nicht mehr hören und nicht mehr bestätigen, dass er recht hat. Er war tot.

Der Darwisch wandte sich den anderen zu. Er sah dass sie sich alle über den Tod den jungen Mannes wunderte. Der Darwisch fragte sie nach dem Grund.

Einer der Männer erklärte: „Dieser junge Mann war gesund, kräftig und und reich. Er hat weder Durst gelitten noch hungern müssen und hatte ein Reittier. Wieso ist er gestorben und nicht du? Du bist zu Fuß gegangen, ohne Schuhe und Kopfbedeckung, hast Hunger und Durst ertragen. Und bist nun gesund hier angelangt und nicht gestorben. Das soll niemanden verwundern?“

Da lachte der Darwisch und sagte: Ihr vergesst, dass der Tod eines jeden für eine bestimmte Zeit festgelegt ist. Oft bleibt ein Kranker, bei dem man die Hoffnung auf Besserung aufgegeben hat am Leben, und stirbt sein Pfleger, der gesund war!

Liebe Hörerfreunde! Unser heutiges Sprichwort lautet:

Har Kari michahi bekoni, bekon, nubat Raqasi ma ham mischawad.

Ein Kamel hatte keinen Besitzer. Es strich durch die Steppe, trank nach Lust und Liebe Wasser , fraß viel Gras und ruhte sich gut aus. Es war froh und glücklich. Niemand lud ihm eine Last auf oder gab ihm nur Dornengestrüpp zu fressen.

Eines Tages als das Kamel wieder munter durch Berg und Tal strich sah es einen mageren Esel, der schwer beladen unter seiner Last hinkte. Der Esel tat ihm leid und er raunte ihm zu: „Spring ein wenig hoch und runter und wirf diese Last ab. Dann kannst du wie ich unbeschwert und umsonst essen und frei herumlaufen. Kommt mit. Ich bring dich aus dem Ort hinaus, und keiner kann uns mehr stören.“

Dem Esel gefiel der Vorschlag. Er sprang auf und ab und warf die schwere Last vom Rücken herunter. Dann rannte er mit dem Kamel aus dem Dorf heraus in die Steppe.

Esel und Kamel schlossen Freundschaft. Ein paar Tage lang durchstreunten sie zusammen die Steppe, fraßen Steppengras und tranken aus dem Bach. Der Esel erholte sich allmählich und wurde richtig munter. Schließlich fühlte er sich so munter und fröhlich. dass es ihm gelüstete zu singen. Doch das Kamel hielt ihm beim ersten Ia Ia die Schnauze zu und mahnte: „Hier sind doch Bauern in der Nähe. Die werden kommen und uns mitnehmen. Dann ist alles wieder beim Alten. Dann musst du wieder Last tragen und essen, was sie dir vorsetzen. Halt also lieber den Mund.“

Aber der Esel hatte all die Mühen und Härten von früher vergessen und wollte nicht auf seinen Freund hören. So begann er wieder munter zu ia-en. Das Kamel konnte ihn nicht daran hindern. So viel es auch mahnte: Sei still der Esel hörte nicht drauf. Er schrie weiter Ia und sagte: Was soll ich machen: Ich muss doch daran denken wie mein Vater Ia Ia gemacht hat . Wenn ich daran denke bekomme ich Lust aufs Singen.

Das Kamel wollte gerade flüchten, als plötzlich einige Männer mit Knüppeln auftauchten. Schon waren Esel und Kamel eingekreist. Wütend schnaubte das Kamel dem Esel zu: „Macht nichts: Mein Tanz kommt auch an die Reihe!“ 

Die Bauern banden den beiden einen Strick um den Hals und zogen sie hinter sich her. Der Esel dachte: „Am besten spiel ich krank, dann lassen sie mich laufen.“ Er ließ sich fallen und rührte sich nicht mehr von der Stelle. Die Bauern glaubten, dass er schwach ist und wollten ihn tatsächlich liegen lassen. Da setzte sich das Kamel auch auf den Boden. Die Bauern sagte: Lasst uns dem Esel die Beine zusammenbinden . Wir können ihn dann bequem auf das Kamel aufladen. Vielleicht wird es dem Esel morgen besser gehen.“

Die anderen stimmten ihm zu. Sie luden den Esel auf das Kamel und setzten sich wieder in Bewegung.

Das Kamel war ausgesprochen wütend auf den Esel. Den Esel auf dem Rücken schritt es mit Mühe weiter. Da kamen sie an einer Schlucht vorbei. Plötzlich begann das Kamel auf und ab zu springen. Dem Esel wurde Angst und bange . Er flüsterte dem Kamel zu: Lieber Freund. Ist jetzt wirklich die Zeit zum Auf- und Abspringen gekommen?

Das Kamel aber antwortete: „Was soll ich machen? Weißt du! Ich erinnere mich an den Tanz meiner Mutter und habe Lust zum Tanzen.“

Das Kamel sprang noch ein paar mal auf und ab, bis es schließlich den Esel abgeworfen hatte und der in den Abgrund stürzte. Während die Bauern verwundert in die Schlucht herunterschauten an deren Grund der tote Esel lag, ergriff das Kamel schnell die Flucht. Seitdem sagt man zu jemandem, der so eigenwillig ist, dass er den anderen schadet: „Mach was du willst, mein Tanz kommt auch an die Reihe.“