Iranische Architektur und Kultur-Teil 44
Wir haben über die Bauweise der iranischen Städte in den verschiedenen historischen Epochen gesprochen und sie haben einige Besonderheiten der städtischen Gebäude kennengelernt.
Die architektonische Gestalt jeder Stadt hängt von vielen Faktoren ab: von den wirtschaftlichen Ressourcen und dem Wirtschaftssystem, der geographischen Lage und dem Klima, der Kultur und Religion.
In der Vergangenheit besaßen die iranischen Städte hunderte Jahre lang, normalerweise immer eine Regierungszitadelle, einen Bazaar und eine Hauptmoschee. An dieses Stadtzentrum schlossen sich die Wohnviertel an.
Regierungszitadellen hießen „Arg“ – Der Arg war das Regierungszentrum und deutlich durch Mauern von den anderen Teilen der Stadt abgegrenzt. Hier lebte der König bzw. der Gouverneur mit seiner Familie und seinem Regierungsstab. Ein Teil des Diwani – wie sich der Verwaltungsapparat nannte war ebenso in dieser Zitadelle untergebracht.
Das Wort „Arg“ bedeutet soviel wie kleine Burg in einer großen Burg. Eine solche Festung hatte mindestens einen Wachturm und Festungsmauern. Die ältesten solcher Burgfestungen kennt man allerdings nur noch vom Namen her aus der Assyrerzeit. Die antike Stadt Chorasabad kann als Beispiel dienen. Später wurden in den islamischen Gebieten zahlreiche solcher Stadtburgen in Iran, Ägypten, Syrien, der Türkei und in Beyt-ul-Moqadas (Jerusalem) errichtet.
Es ist nicht einfach, diese Bauwerke zu charakterisieren, da sie sehr verschiedene Strukturen aufweisen und von unterschiedlicher Bedeutung waren. Bei Restaurierungen im Laufe der Zeit ging auch viel von ihren ursprünglichen Merkmalen verloren. Zweifelsohne trugen diese Zitadellen Merkmale eines militärischen Bauwerkes und waren militärischer Versammlungsort. Daher wiesen sie Unterschiede zu den Palästen auf, die den Königen für ihre Residenz und für Empfangszeremonien und Regierungszwecken dienten. Die Gestalt eines „Args“ war behäbiger und roher. Über einige versteckte Teile und dunkle Kerker in diesen Zitadellen gibt es eine Reihe von Horrorgeschichten. Dies zeigt, dass die Bevölkerung in den Städten Respekt und Furcht beim Anblick dieser Gebäudeanlage ganz in ihrer Nähe verspürt haben müssen.
Die mächtigen Mauern und Türme der Zitadelle waren hoch und wiesen nur im oberen Teil kleine Luken auf. Nur mit einer amtlichen Genehmigung durften die Tore zur Festung von ihren Wächtern geöffnet werden.
Iran liegt auf einem Hochplateau zwischen den Tiefebenen des Zweistromlandes im Westen und der Hindukuschregion im Osten. Viele Völker haben dieses Gebiet durchquert. Manchmal kam es zu Konflikten und manchmal auch zu regelrechten Angriffen und Übergriffen seitens anderer Völker. Sie kamen aus Richtung Kaspisches Meer im Norden oder aus dem Osten . Es sei an den Angriff der Mongolen und der Usbeken erinnert. Lange vor diesen Invasionen war der mazedonische Feldherr Alexander vom Westen aus in das Land vorgedrungen und auch vor den Römer war der Iran nicht sicher gewesen. Ebenso musste es sich später gegen die Ottomanen verteidigen. Die Iraner waren also angesichts der vielen Bedrohungen gezwungen, feste Burgen und Zitadellen zu errichten.
Das Baumaterial ist je nach dem Standort der Zitadelle, ob gebirgige oder flache Landschaft , verschieden . Die Zitadellen in Flussebenen waren quadratisch oder rechteckig und an allen vier Ecken wurden runde Wachtürme errichtet. Das Baumaterial waren Rohziegel und Lehm. Gebrannte Ziegelsteine verwendete man nur sehr selten.
Die Mauern wurden mit mächtigen Lehmklötzen errichtet und erreichten manchmal im Querschnitt 4 m. Einige dieser Zitadellen waren von einem Schutzgraben umgeben, der nur über Zugbrücken überwunden werden konnte. In entlegenen Gebieten wurden auch die Landbewohner bei Gefahr in der Festung untergebracht.
Die Festung Handschan in der Nähe des zentraliranischen Natanz wurde bis vor einigen Jahren noch bewohnt. Diese Festung hat eine sehr hohe Mauer und einen hohen Turm. Zahlreiche Gassen führen zu einem Hauptweg oder zu dem Eingangstor dieser Zitadelle. Teilweise sind die Häuser zweistöckig. Die Wohnräume befinden sich im ersten Stock, während im Erdgeschoss Vorratskammern und die Küche oder Viehställe sind. Der Arg-e Handschan war eine Festung, in der auch normale Bürger lebten. Dadurch war sein architektonischer Innenaufbau von dem der Stadtzitadellen verschieden.
Die Zitadellen in gebirgigen Ländern wurden meistens aus ungeschliffenen Steinen aus dem Flussbett oder dem Gebirge und an einem steilen Abhang errichtet.
Auf den Turmspitzen und der Burgmauer gab es Zinnen, von wo aus Bogenschützen bei Angriffen den Feind abwehren konnten. Ein typisches Beispiel für diese Gebirgszitadellen ist die Rud-Chan-Burg im nordiranischen Gilan.
An der höchsten Stelle des Burggeländes einer Gebirgszitadelle lag der Regierungssitz. Weiter unten schlossen sich Wohnhäuser, Lagerräume, Kaserne und Moschee an.
Wie in vielen anderen Teilen der Welt wurden auch Festungen eigens zur Verteidigung gebaut. Sie waren zwei- und manchmal auch drei- oder vierstöckig und hatten einen quadratischen Grundriss. Die Mauern der unteren Stockwerke waren mächtig und aus Gestein. Ein einziges Tor führte in die Burg hinein. In unerreichbarer Höhe wurden die Mauern von sehr kleinen Fensterluken – manchmal nur so schmal wie ein Ziegelstein - durchbrochen, die dem Lichteinfall und der Lüftung dienten. Treppen gab es nur im Inneren des Turms. Die oberen Stockwerke wurden auf einem hölzernen Gerüst aufgebaut.
Von innen sind diese Burgtürme ähnlich wie Wohnhäuser gestaltet und von der äußeren Robustheit ist im Inneren nichts mehr zu spüren. Beispiele für solche Burgtürme blieben auf dem Balkan, in Syrien und in einigen südiranischen Gegenden Irans erhalten.
Zum Schluss beschreiben wir noch kurz den Arg-e Qurtan in der Nähe von Isfahan. Diese große Zitadelle wurde am Ufer des Zayandeh-Rud in einer Gegend namens Varzaneh errichtet. Es ist das zweitgrößte Rohziegel – und Lehmbauwerk auf der Welt.
Der Arg-e Qurtan liegt in der Ortschaft Qurtan, die sich auch Gurtan nennt. Diese Zitadelle wurde im 10. Jahrhundert nach Christus erbaut. Anhand von Tonscherbenfunden datieren einige das Baujahr sogar in die Zeit vor Christus und die Ächemenidenära zurück. In historischen Aufzeichnungen steht, dass es unter dem Sassanidenkönig Bahram der 5. eine Burg in diesem Gebiet gegeben hat, die sich Baram-Schah-Burg nannte. Offensichtlich diente diese Burg militärischen Zwecken . Jedenfalls besaß sie ein großes Waffenlager. Bis vor 50 Jahren lebte die gesamte Dorfbevölkerung von Qurtan in dieser Zitadelle. Danach siedelten sich mit der Zeit immer mehr Bewohner außerhalb der Burg an.
Diese Burg war so angelegt, dass sie den Bewohnern sowohl als Unterkunft als auch als Schutz gegenüber Überfällen dienen konnte.