Die Große Rückkehr (8)
Im Jenseits begegnet der Mensch einer anderen Art von Leben, ein Leben, das nie enden wird. Nun fragt es sich, wie dieses Leben sein wird. Wird es von dem Leben im Diesseits verschieden sein und was sind die Unterschiede?
Der Islam lehrt, dass eine enge Beziehung zwischen dem Leben im Diesseits und im Jenseits besteht. Das jenseitige Leben ist die vollendete Form des diesseitigen. Zwischen beiden gibt es sehr viele Gemeinsamkeiten. Sie unterscheiden sich durch die Spanne zwischen den unvollendenten und der vollendeten Stufe eines Wesens. Sie ähneln bzw. unterscheiden sich, wie eine unreife und reife Frucht.
Die Welt der Natur gelangt auf ihrem Weg der Weiterentwicklung schließlich in Jenseits auf die Stufe ihrer Vollendung.
Zu den Gemeinsamkeiten zwischen dem diesseitigen und jenseitigen Leben ist zu sagen, dass sie beide wahr sind. In beiden ist sich der Mensch seines Daseins bewusst. Im Diesseits und im Jenseits gibt es Genuss und Schmerz, Freude und Kummer, Glück und Missgeschick. Im Diesseits und Jenseits besitzt der Mensch einen Körper. Aber es gibt sehr wesentliche Unterschiede.
Zum Beispiel durchlebt der Mensch im irdischen Leben mehrere Phasen: das sind die Geburt, Kindheit, Jugend und Alter und schließlich das Sterben. Aber diese Phasen gibt es in der ewigen Welt nicht mehr.
Im Diesseits sind dem Leben des Menschen Grenzen gesetzt. Irgendwann ist das irdische Leben für jeden zu Ende. Hinsichtlich des irdischen Lebens bringt Gott im Heiligen Koran im Vers 45 der Sure Kahf (18) einen anschaulichen Vergleich:
„…Es ist wie das Wasser, das Wir vom Himmel herniedersenden, mit dem die Pflanzen der Erde sich sättigen, und welche dann dürre Spreu werden, die der Wind verweht.…“
Der große Unterschied zum Leben im Jenseits ist dessen ewiges Bestehen, worauf der Koran in vielen Versen hinweist.
Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen dem Diesseits und Jenseits besteht darin, dass die Freuden auf der Welt mit Ungemach und mit Mühen verbunden sind. Jeder erlebt neben angenehmen Dingen auch Leid, Kummer und Sorgen. Niemals wird ein Teil der Menschen immer Freude erleben und Ruhe genießen, und ein anderer immer traurig sein. In der jenseitigen Welt sieht es jedoch anders aus. Sie besteht aus zwei Bereichen: dem Paradies und der Hölle. Im Paradies gibt es keine einzige Spur von Leid, Angst und Kummer, und in der Hölle keinerlei Freude, sondern nur Schmerz und Wehmut.
Sowohl die Genüsse als auch die Leiden sind in Wahrheit im Jenseits um ein Vielfaches intensiver als Glück und Unglück im Diesseits.
Es entstehen auch Unterschiede, weil das Jenseits besondere Bedingungen hat. Es gibt zwar die Größen Zeit und Ort im Jenseits aber sie sind anders als im Diesseits. Ebenso gibt es die Merkmale der Materie wie Menge und Gewicht, aber die Wirkung der Materie ist anders als im weltlichen Leben.
Über den Körper des Menschen heißt es, dass die Seele des Menschen nach dem Tod und dem Ende des diesseitigen Lebens sich in einem besonderen Körper befindet, der frei von vielen Begleiterscheinungen des hiesigen stofflichen Körpers ist. Dieser Körper ist auf eine besondere Art aus den Taten des Menschen, die er im Diesseits begangen hat, entstanden. Alle Handlungen des Menschen haben zwei Gesichter. Eines davon ist weltlich. Man wird jetzt davon Zeuge, aber es ist vergänglich, eben weil es die weltlich ist. Zum Beispiel Worte, die zu einer bestimmten Zeit gesprochen werden. Sie haben einen Beginn und ein Ende. Aber auch sie haben ein zweites Gesicht, nämlich ein jenseitiges noch verborgenes. Dieses unsichtbare Gesicht der Handlung „Sprechen“ ist unvergänglich und nicht vorübergehend. Es ist ewig. Wenn nun jemand hinter dem Rücken eines anderen Negatives über ihn weitererzählt besteht das weltliche Gesicht dieser Tat in diesen Worten und der begleitenden Mimik. Aber das jenseitige Gesicht der Tat ist anders- Imam Sadschad warnt davor, hinter dem Rücken eines anderen schlecht über ihn zu reden und sagt, dass diese schlechte Tat der Fraß der Höllenhunde sein wird. (Bihar ul Anwar, Bd. 78)
Das Leben in dieser Welt wirkt trotz aller Segnungen irgendwann einmal ermüdend für den Menschen, auch wenn er es noch so angenehm hat. Diese Langeweile stellt sich besonders bei Eintönigkeit ein.
Der Mensch ist laufend auf der Suche nach neuem Glück, und wenn er es erreicht hat verspürt er nach eine Weile, dass auch dieses Glück nicht sein größter Wunsch war, also sucht er nach einem neuen Ziel. So kommt es dass der Mensch in dieser Welt immer nach etwas verlangt, was er noch nicht besitzt.
Aber in der jenseitigen Welt, erleben diejenigen, die Zugang ins Paradies fanden, keinen Überdruss. Sie sind an ihr großes Verlangen, nämlich ein ewiges Leben in der Nähe Gottes, des Höchsterhabenen gelangt und sie werden es nicht leid.
Im Koran lesen wir im Vers 108 der Sure Kahf (18):
„(das Paradies) in dem sie auf ewig verweilen werden; von dort werden sie nicht weggehen wollen.“
Obwohl die Paradiesbewohner ewig dort bleiben, werden sie das Leben dort niemals satt. Im Gegensatz zu dem Leben auf Erden, werden die Menschen im Paradies niemals nach Änderungen streben. Dort gehen durch Gottes Anweisung alle ihre Wünsche in Erfüllung.
Ein anderer wichtiger Unterschied zwischen dem Diesseits und Jenseits ist der, dass das Leben im Diesseits Vorstufe zum jenseitigen Leben ist und ein Mittel zur Erreichung des Ewigen Gücks. Aber das jenseitige Leben ist endgültig und das eigentliche Leben.
Auf Erden muss der Mensch sich Mühe geben und die Saat des Guten streuen. Und im Jenseits erntet er nur und hat keine Gelegenheit mehr, etwas zu säen, was belohnt wird. Die Welt ist also der Ort des Handelns und Wirkens und das Jenseits ist der Ort wo der Mensch das Ergebnis erhält und wo über seine Taten verrechnet wird.
Im Diesseits hat der Mensch die Möglichkeit, sein Schicksal zu ändern, indem er die Richtung wechselt und sein Handeln ändert. Aber im Jenseits ist keinerlei Änderung mehr möglich. Glück und Unglück im jenseitigen Leben hängen also von dem Verhalten des Menschen im diesseitigen Leben ab.
Das Verhältnis zwischen dem Diesseits und Dem Jenseits ist nicht wie das Verhältnis zwischen den Erscheinungen der Welt.
Zum Beispiel wird nicht automatisch jeder, der in dieser Welt stärker, schöner, fröhlicher oder reicher ist, automatisch im Jenseits unter den Paradiesbewohnern sein. Dann müssten ja die Pharaonen und die arroganten Herrenmenschen im Jenseits größere Seligkeit erfahren. Im Gegenteil dazu kann es oftmals so sein,dass jemand, der auf der Welt schwach und arm war im Jenseits gesund und stark sein und den ewigen Segen des Paradieses genießen wird, weil er seine religiösen Pflichten erfüllt hat.
Einige denken, dass die Segensgaben im Leben im umgekehrten Verhältns zu denen im Jenseits stehen, d.h. dass im Jenseits diejenigen selig werden, die nichts vom Leben gehabt haben oder umgekehrt, dass diejenigen, die viele weltliche Gabe erhielten, nicht mehr an die Seligkeit im Jenseits gelangen. Diese Leute irren sich aber und vergessen, dass Liebe zum Weltlichen und Nutzung der Gaben Gottes zwei verschiedene Dinge sind. Jemand ist nur dann der Liebe zum Weltlichen verfallen, dessen einziges Ziel darin besteht, an die Genüsse des Lebens zu gelangen und er nach besten Kräften nur danach strebt. Jemand aber, der den Segen im Jenseits anstrebt, der hängt sein Herz nicht an die weltlichen Genüsse, sondern die Seligkeit im Jenseits bleibt sein Ziel, auch wenn ihm im Leben zahlreiche Gaben zuteilwerden Es hat viele Propheten und Gottesfreunde gegeben, denen besondere Segnungen zur Verfügung standen, wie Hadhrat-e Soleyman (Salomo). Sie nutzten diese Gaben nutzten, um an das jenseitige Glück zu gelangen und Gottes Zufriedenheit zu gewinnen. Es gibt also keinen bestimmten Zusammenhang zwischen der Nutzung der diesseitigen und der jenseitigen Gaben. Der Besitz bzw. der Nicht-Besitz von irdischen Gaben ist für sich noch kein Zeichen dafür, dass jemand von Gottes Barmherzigkeit ausgeschlossen wird oder sie erfährt, und es ist kein Grund dafür, dass ihm im Jenseits Glück oder Unglück beschert wird. (siehe Verse 15 und 16 der Sure Fadschr ( 89)
Abschließend lässt sich hervorheben, dass es eine reale Beziehung zwischen den Handlungen des Menschen im Leben und dem jenseitigen Leben gibt. Im Vers 30 der Sure 3 steht:
An jenem Tage wird jeder bereitfinden, was er an Gutem getan hat; und jeder der Schlechtes getan hat, wünscht dass zwischen ihm und seinen schlechten Taten ein großer Abstand wäre…“