Iranisches Kunsthandwerk (30 - Spiegeldekor)
Die Künste, die mit der Architektur zu tun haben, besitzen im Iran einen besonderen Stellenwert, sie stehen nämlich mit einem der elementaren Bedürfnisse des Menschen, nämlich das Bedürfnis nach einer Unterkunft, in Verbindung, und haben sich zusammen mit der Architektur weiterentwickelt. Einer dieser iranischen Künste, die sich in den Dienst der Architektur gestellt hat, ist die Kunst des Spiegeldekors – genannt Aineh-Kaari.
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Dieser sehr dekorativen Flächengestaltung begegnen wir heute vor allen in Heiligen Stätten und in iranischen Moscheen. Das Kunsthandwerk Aineh-Kaari ist tief in der Mystik und den spirituellen Überzeugungen verwurzelt.
Bei Aineh-Kaari reflektieren viele kleine Spiegelflächen das Licht und verstärken seine Wirkung. In der religiösen Baukunst symbolisiert Spiegeldekor das absolute Licht. Der iranische Spiegeldekor folgt in der Regel den Prinzipien des Gereh- (ts)chinis – wie sie es im Holz-Kunsthandwerk gibt. Gereh-tschini ist eine Art Rosetten-Ornamentik. Diese Ornamente sind im Islam eine Verbildlichung des Dhikr – d.h. Formen des Gedenkens an Gott - wie die Lobpreisung Gottes und die Anrufung seiner Heiligen Namen. In der Tat erinnert die Kunst des Spiegeldekors den Betrachter an das reine Wesen Gottes. Aineh-Kaari ist daher ein Kunsthandwerk mit religiöser Bedeutung.
Der Spiegel hat im Iran eine symbolische Bedeutung. Zum Beispiel schauen Braut und Bräutigam bei der Vermählung und Verlesung der entsprechenden religiösen Worte in einen Spiegel. Sie wünschen sich ein gemeinsames Leben, das so klar und aufrichtig ist wie dieser Spiegel. Aus ähnlichen Gründen kommt auch ein Spiegel auf das traditionelle haft-sin-Festtuch zum Neujahrsfest Noruz im März zu stehen. Dies gehört zu den festen Traditionen.
Musik
Aineh-Kaari ist eine sehr alte Kunst im Iran. Die archäologischen Ausgrabungen am Sialk-Hügel bei Kaschan(Provinz Isfahan) zeugen davon, dass man schon im 4. Jahrtausend vor Christus mit der Anfertigung von Spiegeln vertraut war.
Diese Spiegel bestanden nicht aus Glas sondern aus Kupfer und waren gewölbt. In der Lut-Wüste, in der ostiranischen Provinz Kerman, hat man kupferne Spiegel mit Griffen aus dem 3. Jahrtausend vor Christus gefunden.
Auch bei Ausgrabungen in Schusch (Susa), dem Tappe Hessar südlich von Damghan (in der östlich von Teheran gelegenen Provinz Semnan) , und in Tappe Chorvin (westlich von Teheran gelegenen Provinz Albors) , in Amlasch in der nördlichen Provinz Gilan und auch aus der Bronzezeit in der westlichen Provinz Lorestan hat man solche Spiegel gefunden, einige davon mit Haltegriff, andere mit einem Ständer.
Die Verwendung von Spiegeln war in den verschiedenen Epochen unterschiedlich aber schon seit langem werden sie bei Bauwerken geschätzt. In dem literarischen Werk Dauhat-ul Azhar" aus dem 16. Jahrhundert nach Christus (10. Jahrhundert nach der Hidschra) wird der schöne Spiegeldekor in einem Bauwerk namens Diwan-chaneh Qaswin poetisch gepriesen.
Nachdem die Saffawiden 16. bis 18. Jahrhundert nach Christus), statt Qaswin, Isfahan zu ihrer Hauptstadt wählten, blühte dort das Kunsthandwerk des Spiegeldekors in Bauwerken auf. Alleine in Isfahan gab es gemäß dem französischen Weltenreisenden Jean Chardin 137 Häuser und Paläste , die Spiegeldekors schmückten. Das bekannteste davon war das Bauwerk Aineh-Chaaneh – (das Spiegelhaus).
Das Kunsthandwerk Aineh-Kaari entfaltete sich erst recht unter den Qadscharen (18. bis Anfang 20. Jahrhundert). Zu den schönen Exemplaren des Spiegeldekors aus dieser Zeit gehört der Talaar-e Aineh – der Spiegelsaal im Golestan-Palast in Teheran. Es ist einer von mehreren bekannten Sälen in diesem Palast, den Fathali Schah 1813 nach Christus erbauen ließ.
Der Spiegeldekor war auch in religiösen Gebäuden bei der Ausschmückung von Kuppelgewölben und Wänden beliebt, dies insbesondere in Pilgerstätten der Nachkommen von Imamen (Imamzadeh) .
Die Kunsthandwerker verwendeten mit der Zeit auch sehr kleine Spiegelstücke für diesen Dekor und schufen bezaubernde Werke. Im Golestan-Palast in Teheran sehen wir eine Kombination von Spiegeldekor und Malerei auf Holz, ähnlich wie in dem Großen Saal des Narandschestan-Gebäudes in Schiras, in der Provinz Fars.
In den alten Teheraner Viertel gibt es zahlreiche Beispiele für das Kunsthandwerk des Spiegeldekors. Im 19. Jahrhundert begann man dieses dekorative Elemente nämlich auch an anderen Bauwerken als Palästen und Heiligen Stätten einzusetzen und es fand in Wohnhäusern und öffentlichen Stätten wie Theatersälen, Restaurants, Gästehäusern, Geschäftsläden und in Familiengruften Verwendung.
Beim Spiegeldekor werden kleinere und größere Spiegelstücke zu Ornamenten zusammengelegt, um eine Fläche auszuschmücken. Ein solches Spiegeldekor bietet dank der Reflektion des Lichtes in seinen vielen kleinen Spiegelstücken einen sehr schönen Anblick und wirkt bezaubernd. Nicht nur die Wände sondern auch Säulen werden mit diesem Dekor ausgekleidet. Der Entwurf für diesen Dekor wird zu Papier gebracht und dann auf die Fläche, die dekoriert werden soll, übertragen, und zwar werden die Linien mit Nadelstichen markiert und danach wird der Entwurf bestäubt, so dass er auf der Fläche abgebildet wird.
Daraufhin werden die einzelnen Spiegelstücke mit Gips und einem besonderen Klebern auf der Mauerfläche angebracht. Die Spiegelstücke werden mit einer Diamantenklinge herausgeschnitten und ihre Kanten werden abgerundet. Die optimale Stärke eines Spiegelstückes ist ein Millimeter. Doch manchmal verwendet man auch Spiegelstücke bis zu 2 Millimeter Stärke.
Früher waren Spiegel teuer und wegen der Bruchgefahr lohnte sich eine Einfuhr aus dem Ausland nicht. Also haben die iranischen Handwerker schon früh mit der Anfertigung von Quecksilber- und Zinnspiegeln begonnen und später verwendete man eine Nitratlösung. Bei letzterer Methodik erhielt man jedoch keinen richtig klaren Spiegel. Schließlich konnten dank der neuen Technologie Gläser und Spiegel mit zufriedenstellender Qualität im Inland angefertigt werden.
Das geläufigste Ornament bei einem iranischen Spiegeldekor nennt sich Gereh (Gereh-Chini – Rosetten-Ornament) . Dieses Ornament ist auch in anderen iranischen Künsten beliebt. Beliebt sind auch Qaab-Bandi , d.h. Rahmenstrukturen und Einteilung in Felder. Rahmenstrukturen und Rosetten-Ornamente werden aber auch öfters kombiniert. Jede Art von Aineh-Kaari hat ihren besonderen Namen wie Schamseh, (Sonnen-Medaillon), Turandsch (Medaillon) Latschak , Islimi (Abaresken-Dekor) und weitere. Bei großen Spiegelstücken wird die Wandfläche erst weiß angestrichen und zudem bemalt.
Seit einigen Jahren ist auch bunter Spiegeldekor üblich geworden, meist für Medaillon- oder Halb-Medaillon- oder Blüten- und Blätter-Design. Dabei werden im Gegensatz zu den traditionellen Spiegeldekoren, bei denen alle Stücke spitze Winkel haben, gebogene, runde und mandelförmige Spiegel-und Glasstücke zurecht geschnitten. Diese Art von Spiegeldekor in Kombination mit Glas nennt man Yaquti.
( Rubinhaft).
Übrigens sind auf dem Kunsthandwerkmarkt im Iran auch kleine Dekorgegenstände mit Spiegelornamenten im Kleinformat erhältlich.
Es gibt aber noch eine andere Art von Kunsthandwerk mit Spiegeln und zwar das Aineh-Duzi.
Aineh-Duzi – die Spiegelstickerei auf Stoff - ist eines der schönsten Kunsthandwerke aus dem Osten Irans und zwar ist sie in der Provinz Sistan wa Balutschistan weit verbreitet. Dabei werden in gleichen oder verschiedenen Abständen kleine Spiegel auf traditionelle Bekleidungsstücke aufgenäht, auf Trachten, Westen und auf Gürteln. Oder es werden Spiegelchen mit bunten Fäden zu traditionellem Wandschmuck verarbeitet. Die Aineh-Stickerei wird manchmal auch mit anderen Formen der Stickerei wie Abrischam-Duzi (Seidenstickerei) und Qeytan-Duzi (Bänderstickerei) kombiniert.
In Sistan wa Balutschistan erlebte die Spiegelstickerei zur Zeit der Saffawiden ihren Höhepunkt. Sie ist dort unter verschiedenen Namen wie Gaadsch, Kaarmutch, Miti und Balutsch bekannt. Wir werden bei der Besprechung von iranischer Bekleidung noch einmal auf diese Kunst zurückkommen.