Islam richtig kennenlernen (46)
Wir haben bereits im letzten Teil über einige besondere Eigenschaften der Propheten gesprochen. Zweifelsohne muss für eine so hohe und bedeutende Aufgabe und Berufung eine Reihe von Vorzügen vorliegen.
Eine weitere wichtige Voraussetzung für die Propheten ist deren Unfehlbarkeit und Makellosigkeit. Weil die Propheten die Gesellschaft rechtleiten sollen, müssen sie ihr ganzes Leben über – also auch vor ihrer Berufung, rein von Sünden sein. Makellosigkeit, nämlich die Reinheit von Sünden und Fehlern, ist eine innere vorbeugende Kraft, die der absoluten Glaubensgewissheit des Menschen entspringt. Die Propheten Gottes sind makellos und kein egoistischer Wunsch kann sie zur Sünde verleiten. Die Makellosigkeit hält sie derartig vor jeder Form moralischer Verderbnis, Sünde und sogar vor dem Gedanken, eine Sünde zu begehen, ab, dass sie ihr ganzes Leben lang frei von Sünden bleiben.
Welche Rolle spielt die Makellosigkeit der Propheten für sie in der menschlichen Gesellschaft?
Als Erstes ist zu sagen, dass die Menschen jemandem, der verkündet, dass er von Gott zu ihnen ausgesandt wurde, vertrauen müssen. Denn anderenfalls wird seine Verkündung von ihnen angezweifelt. Wir sagten, dass die Rechtleitung der Menschen durch die himmlischen Lehren das wichtigste Ziel der Auserwählten Gottes, der Propheten, ist. Die Menschen nehmen aber erst dann diese Lehren zur Erreichung des diesseitigen und jenseitigen Wohls ernst, wenn sie sicher sind, dass sie von Gott, ihrem Schöpfer, kommen.
Wenn sie irgendwie an der Offenbarung zweifeln, wird das Ziel der Prophetenaussendung, die der idealen Weiterentwicklung des Menschen dienen soll, nicht erreicht werden. Wenn die Propheten nicht frei von Sünden und Fehlern wären, bestünde, selbst wenn sie ansonsten die höchsten Tugenden aufweisen, dennoch immer die Wahrscheinlichkeit, dass sie gegenüber den Versuchungen des Weltlichen oder infolge materieller Reize wankelmütig würden. Wegen dieser Wahrscheinlichkeit würden zwangsläufig die anderen dann auch an der Durchführung der Weisungen der Propheten zweifeln. Wenn also jemand sagt, dass er ein Prophet und mit der Rechtleitung der Menschen beauftragt sei, wirkt er unglaubwürdig, falls er in der Vergangenheit gesündigt hat und kann außerdem nicht als Vorbild für die Tugend und Reinheit dienen.
Niemand wird von einer Person, die dunkle Seiten in der Vergangenheit aufweist, die Behauptung akzeptieren, dass er Offenbarungen Gottes übermittelt. Die erste Bedingung, die ein Prophet erfüllen muss, besteht also in der Vertrauenswürdigkeit und Makellosigkeit. Damit die Menschen den Propheten vertrauen und an ihre Botschaft glauben, wurden sie mit Makellosigkeit ausgestattet.
Die Liebe der Menschen zu den Propheten kommt aus dem Herzen und hat mit dem hohen Rang der Makellosigkeit und der moralischen Vollkommenheit dieser großartigen Persönlichkeiten zu tun.
Das Verhalten eines Menschen, zum Beispiel eines Lehrers hat eine weitaus größere Wirkung, als das was er sagt. Daher hat auch das edle Verhalten und die Lebensweise der Propheten die größte Wirkung gehabt.
Es leuchtet ein, dass jemand dessen Verhalten moralisch und geistig-seelisch Mängel aufweist, nicht die ethische Führung der Menschen übernehmen und ihnen nicht zur Vervollkommnung verhelfen kann. Die Reinheit der Propheten von Sünde ist daher, wie ihre feste und ständige Verbindung zu Gott, der Quelle des Daseins, ein unumstrittenes Erfordernis.
Wenn jemand noch in naher Vergangenheit Sünden begangen hat, so werden sich die anderen daran erinnern und es nicht vergessen haben. Selbst eine tiefe seelische Wandlung zum Guten kann diese Erinnerungen nicht auslöschen.
Da die Propheten makellos sind, können wir feststellen, dass selbst ihre Feinde sie nicht der Sünde bezichtigen konnten, was sie allerdings versuchten, um auf diese Weise die Verbreitung ihrer himmlischen Lehre zu verhindern. Die Menschen fielen nicht auf solche Verleumdungen herein, denn sie kannten ihren Propheten gut und waren begeistert von ihm. Aber falls die Propheten auch nur eine Sünde vor ihrer Berufung begangen hätten, hätten ihre Feinde dies ausnützen können, um ihrem Ansehen zu schaden und das Vertrauen des Volkes in die Propheten zu erschüttern. Das ist in sich schon ein klarer Beweis dafür, dass die Propheten vor ihrer Aussendung wegen ihrer moralischen Reinheit und Makellosigkeit unter den Menschen bekannt waren.
Es ist erstaunlich, dass die Propheten von der Umgebung, in der sie aufwuchsen und in der es zahlreiche Übel gab, unbeeinflusst blieben. Angesichts der sündigen Gesellschaft, in die sie hineingeboren wurden, hätten eigentlich die üblen Zustände auch auf sie abfärben müssen. Aber das war nicht der Fall. Diese Vorbilder der Tugend und des menschlichen Anstandes blieben rein und edel. Dies ist ein klarer Unterschied von Propheten zu anderen Menschen, auf die die Umgebung leicht abfärbt. Wenn man dies bedenkt, dann tritt der Wert der Makellosigkeit der Propheten noch deutlicher zu Tage. Allerdings wird der eine oder andere fragen, wie diese Makellosigkeit sich äußert. Wird bei jeder Verlockung ein Bote aus der überirdischen Welt oder irgendein externer Faktor sie von der Sünde abhalten? Oder sind die Propheten etwa so geschaffen, dass sie wie die Engel überhaupt nicht sündigen können?
Engel sind andere Wesen als Menschen und die Propheten waren Menschen. Die eben genannten Faktoren kommen nicht als Grund für die Makellosigkeit der Propheten in Frage. Vielmehr ist es so, dass die Propheten sich unablässig der Gegenwart Gottes bewusst sind. Sie sind sich bewusst, dass der Herr alle ihre Taten sieht und begehen daher keine Sünde. Ihr starker Glaube und ihre große Gottesfürchtigkeit verursacht, dass sie nicht den kleinsten Schritt in Richtung Sünde unternehmen. Makellosigkeit wäre keine Kunst, wenn externe Faktoren den Menschen dazu zwingen würden, eine Sünde zu unterlassen oder wenn der Mensch aus anderen Gründen nicht in der Lage wäre zu sündigen. Ein Verbrecher, der im Gefängnis sitzt und notgedrungen keine Verbrechen mehr begehen kann, wird deswegen von niemandem als rechtschaffener Menschen betrachtet.
Die Propheten aber haben sich, im Gegenteil dazu, bewusst und aus völlig freien Stücken von hässlichen Taten rein gehalten.
Der Koran hebt die Makellosigkeit der Propheten hervor. Er gibt zu verstehen, dass die Erreichung des hohen Ranges eines Propheten und geistigen Führers der Gesellschaft nur dank der Reinheit von Sünden und einer hohen Moral und Gesinnung möglich ist. Als Abraham zu Gott betete, er möge seine Nachkommen zu Wegweisern der Menschheit machen, erklärt Gott ihm eindeutig, dass jemand, der Frevel und Unrecht begeht, nicht für ein solches Amt geeignet ist.
Wir lesen im Vers 124 der Sure 2: (Baqara):
„Und (gedenkt,) als Ibrāhīm von seinem Herrn mit (schwierigen) Dingen geprüft wurde, da befolgte er sie (und bestand alle Prüfungen). Er (Allah) sagte: „Ich will dich zu einem Vorbild und Anführer für die Menschen machen.“ Er (Ibrāhīm) sagte: „Und von meiner Nachkommenschaft?“ Er sagte: „Mein Bund erstreckt sich nicht auf die Ungerechten.“
Damit kündigte Gott dem Propheten Abraham an, dass nur die Makellosen in seiner Nachkommenschaft für das Amt eines Imams – Führer und Verwalters– der Menschen geeignet sind.
Zu den notwendigen Vorbedingungen für das Amt eines Propheten zählt also laut dem Koran die Makellosigkeit, d.h. die Reinheit von Sünde und Frevel. Wir können es auch so ausdrücken: Gott gestattet nicht, dass die Führung Seines Volkes jemanden anvertraut wird, dessen Herz durch die Sünde verdunkelt wurde und der sich Frevel und Unrecht zuschulden gemacht hat.