Islam richtig kennenlernen (96 - Idschaz des Korans)
Zu den wichtigen Themen in den Koranwissenschaften, die eng im Zusammenhang mit den Glaubensfragen stehen, gehört das Thema Wundercharakter des Korans (Idschaz). Viele möchten wissen, durch welche Eigenschaften der Heilige Koran so einmalig wird und wieso der Mensch trotz seiner Errungenschaften auf den verschiedenen Gebieten der Wissenschaft und trotzdem die Menschheit so große Schriftsteller hervorgebracht hat, nicht in der Lage ist, ein gleichrangiges Buch zusammenzustellen.
Der Philosoph Schahid Motahhari schreibt den Fortbestand des Korans drei Dingen zu und zwar erstens dem Tatbestand, dass der Koran der menschlichen Fitra entspricht, das heißt der Gott gegebenen Ur-Seele, und zweitens dass dieses heilige Buch von der Ausdruckskraft und Eloquenz alles andere übertrifft. Als dritten Grund für die Ewigkeit des Korans betrachtet er die ausdrückliche Forderung nach einer schönen melodischen Rezitationsweise des Korans. Er sagt über den Wundercharakter, den die Ausdrucksweise des Korans besitzt: Der Koran besitzt eine Eloquenz, die das Menschliche übersteigt und seine Wirkung ist der Schönheit dieser Sprachgewalt zu verdanken. Der Koran ist hinsichtlich seiner Ausdrucksweise und Redefertigkeit, des Einflusses auf die Seele, Anziehungskraft und Wirkungsmacht so gestaltet, dass er die Herzen auf erstaunliche Weise berührt. Der Mensch kann (auf dem üblichen Wege) hohe und feine Inhalte nicht schön darlegen, ohne sie in ein Gewand bestehend aus Phantasie und Dingen, die die Sinne betreffen, zu hüllen. Dies gehört zu den menschlichen Schwächen. Aber der Koran überbringt keine solchen Dinge und dies gehört zu seiner vollendeten Macht. Wenn sich jemand mit dem Inhalt des Korans und der arabischen Sprache und den Techniken der Redekunst und Eloquenz vertraut macht, wird er sich voll der Ausdrucksschönheit des Korans bewusst. Er verspürt, dass dies eine andere Ausdrucksweise und Darlegungsart ist und er merkt, dass der Koran eine magnetische Wirkung auf ihn hat.“
Das Thema der wunderbaren Redekunst des Korans stellt einen wichtigen Bestandteil der Untersuchung des Wundercharakters des Heiligen Korans dar. Dieses Thema spielt oftmals bei Korankommentaren und Koranstudien und der Debatte über Glaubensprinzipien und die literarische Güte des Korans eine wichtige Rolle. Der Koran ist sprachlich so aufgebaut dass er mit seinen die menschliche Fähigkeiten überragenden Besonderheiten keine Nachahmung zulässt. Ein fester Beweis für diesen Anspruch liefert die Tatsache, dass keiner dem Aufruf des Korans zur Nachahmung folgen konnte.
Koranwissenschaftler und Koranforscher haben sich intensiv mit der Genauigkeit der Wörter im Koran beschäftigt, ebenso wie mit der Schönheit ihrer Bedeutung, dem melodischen Zauber des Korans, den faszinierenden Verbildlichungen in ihm und seiner hohen Klangordnung. Der Koran zeichnet sich durch eine hochgradige Präzision seiner Ausdrucksweise aus. Jeder Bestandteil eines Koranverses steht an dem richtigen Platz. Bei der Wortwahl sind alle Klang- und Bedeutungszusammenhänge berücksichtigt worden und die Ausdrücke sind hochgradig schön. Die Struktur ist so genau und wohlüberlegt, dass sich ein geschlossener Corpus und Rahmen bildet, aus dem weder ein Wort entnommen werden, noch eines auf einen anderen Platz gestellt oder durch ein anderes Wort ersetzt werden kann. Mit anderen Worten würde jede Änderung bei der Anordnung der Wörter der Klangordnung, der Rede und der Art der Botschaftsübermittlung schaden. Diese Eigenschaft ist neben dem Beweis für den Wundercharakter des Korans, in sich auch ein Grund dafür, dass dieses Himmelsbuch vor einer Verfälschung bewahrt bleibt.
Berühmte Literaten und Rhetoriker sehen in der Wahl und der Anordnung der Wörter im Koran eine Art Wunder und die Literaturkenner sind fasziniert von der Genauigkeit der Wahl und Anordnung der Wörter im Koran. Sie konnten kein Wort finden, welches nicht an seinem geeigneten Platz steht. Nach ihrer Meinung besteht das Einmalige und Neue an der Sprache des Korans darin, dass immer die am besten geeigneten und passendsten Wörter gewählt wurden, um etwas auszudrücken, und sie staunen über diese hervorragende Genauigkeit im Ausdruck.
Der Koran hat einen einmaligen Stil vorgelegt, den es in der Rhetorik der Araber nie gegeben hat. Er ist weder Prosa noch Poesie und trotzdem besitzt er die Vorzüge aller literarischen Stile: den lebendigen Sprachfluss der Prosa und die Schönheit der Dichtung. Dies haben bereits die arabischen Zeitgenossen des Propheten zugegeben. Einer von ihnen, Walid Ibn Mughira erwiderte jemandem, der behauptete der Koran sei Dichtung: „Keiner von euch kennt die Dichtung besser als ich. Ich kenne die Kampflieder, und Kassiden und Gedichte besser als jeder anderer. Aber das was Mohammad sagt, ähnelt nichts von alledem.“ Mohammad Abdullah Draz ein ägyptischer muslimischer Denker schreibt: „Die Prosa des Korans weist einmalige Eigenschaften auf. Ihre Worte sind auserlesen, sie sind nicht trivial oder hässlich, sondern hochgradig und schön. Im Koran sind die Sätze so zusammengefügt, dass dem Zuhörer und Leser unter Einsatz eines Minimums an Wörtern ein umfassender Sinn übermittelt wird. Während selbst Leute mit geringster Bildung den Koran leicht verstehen können, verleiht ihm seine Bedeutungstiefe zugleich die Eignung zur Grundlage und zum Ausgangspunkt für die Wissenschaften und Islamische Literatur, die Rechtsschulen für islamische Jurisprudenz und für Gedanken über den Glauben zu werden.
Einer der wichtigsten Aspekte des Wundercharakters der Sprache des Korans, sind der Klang und die klangvolle Komposition der Wörter. Diese Eigenschaft tritt so klar im Koran hervor, dass die Araber gleich zu Anfang zugaben, dass der Koran außerhalb menschlicher Kräfte steht und nur von Gott sein kann. Alle die mit dem musikalischen Charakter des Korans vertraut sind, betrachten die natürliche Harmonie zwischen den Wörtern des Korans und ihrem Klang als meisterhaft und sind davon überzeugt, dass niemand auch nur an einem Wort etwas bemängeln kann. Bei der Rezitation des Korans wird die darin enthaltene Melodie deutlich spürbar. Dies ist insbesondere bei den kurzen Suren der Fall. Dieser Aspekt des koranischen Wundercharakters rührt in erster Linie von den Emotionen her, die im Herzen dessen, der die Koranverse liest oder hört, erweckt werden. Die Wörter sind nämlich auf eine Weise zusammengefügt, dass sie, ohne ein modales System zu benötigen, einen faszinierenden Klang hervorrufen. Wir sollten als Beispiel den Klang der Verse 1 bis 22 der Sure Nadschm- Sure 53 – betrachten:
وَالنَّجْمِ إِذَا هَوَى * مَا ضَلَّ صَاحِبُکُمْ وَمَا غَوَى * وَمَا یَنطِقُ عَنِ الْهَوَى * إِنْ هُوَ إِلَّا وَحْیٌ یُوحَى * عَلَّمَهُ شَدِیدُ الْقُوَى * ذُو مِرَّةٍ فَاسْتَوَى * وَهُوَ بِالْأُفُقِ الْأَعْلَى * ثُمَّ دَنَا فَتَدَلَّى * فَکَانَ قَابَ قَوْسَیْنِ أَوْ أَدْنَى * فَأَوْحَى إِلَى عَبْدِهِ مَا أَوْحَى * مَا کَذَبَ الْفُؤَادُ مَا رَأَى * أَفَتُمارُونَهُ عَلَى مَا یَرَى * وَلَقَدْ رَآهُ نَزْلَةً أُخْرَى * عِندَ سِدْرَةِ الْمُنتَهَى * عِندَهَا جَنَّةُ الْمَأْوَى * إِذْ یَغْشَى السِّدْرَةَ مَا یَغْشَى * مَا زَاغَ الْبَصَرُ وَمَا طَغَى * لَقَدْ رَأَى مِنْ آیَاتِ رَبِّهِ الْکُبْرَى * أَفَرَأَیْتُمُ اللاَّتَ وَالْعُزَّى * وَمَنَاةَ الثَّالِثَةَ الْأُخْرَى * أَلَکُمُ الذَّکَرُ وَلَهُ الْأُنثَى * تِلْکَ إِذاً قِسْمَةٌ ضِیزَى.
(Übersetzung im Anschluss an den Text)
Sie sehen, dass die Verse alle fast auf ähnliche Weise enden und haben sicher den besonderen Rhythmus verspürt, der sich aus der Harmonie der Wörter und der Sätze ergibt.
Ein weiterer wunderbarer Aspekt des koranischen Stils besteht darin, dass der Klang der gewählten Wörter auf den Inhalt, der dem Leser oder Zuhörer vermittelt wird, abgestimmt ist. Wort und Bedeutung harmonieren miteinander und vermitteln die Bedeutung – die eine über das Ohr und die andere über das Herz. Wenn der Koran einen großartigen Menschen ehrt oder eine schöne Tat lobt, setzt er weiche zauberhafte Ausdrücke dafür ein. Aber wenn er mahnt und über furchterregendes spricht, benutzt er wuchtige Wörter.
Wir möchten mit den Worten von Professor Alfred Guillaume (1888-1965) schließen, der den Koran ins Englische übertragen hat. Er sagt über den Idschaz – die Unnachahmlichkeit - des Korans:
„Der Koran besitzt mit seinem schönen nur ihm eigenen Klang, eine liebliche Musik, die ein Ohrenschmaus ist. Viele arabischsprachige Christen haben den Stil des Korans gelobt. Die Orientalisten, die Arabisch können und die Arabische Literatur kennen, sprechen mit Anerkennung von der Ausdruckskraft und Schönheit und Feinheit des koranischen Stils. Wenn der Koran rezitiert wird, zieht seine besondere Ausstrahlung den Hörer unwillkürlich in ihren Bann. Diese Anmut und liebliche Musik brachte die Gegner zum Schweigen. Sie hauchte dem Corpus des Religionsrechtes des Propheten des Islams Leben ein und machte den Koran unnachahmlich.“
Sure 53 Nadschm, Verse 1 bis 22:
Bei dem Stern, wenn er sinkt!
Nicht in die Irre geht euer Gefährte, und auch nicht einem Irrtum ist er erlegen,
und er redet nicht aus (eigener) Neigung.
Es ist nur eine Offenbarung, die eingegeben wird.
Belehrt hat ihn der Besitzer starker Kräfte, der (geistige) Macht besitzt.
So stand Er da
und war am obersten Gesichtskreis.
Hierauf kam er näher und stieg herunter,
so daß er (nur) zwei Bogenlängen entfernt war oder noch näher.
Da gab Er Seinem Diener (als Offenbarung) ein, was Er eingab.
Nicht hat sein Herz erlogen, was es sah.
Wollt ihr denn mit ihm streiten über das, was er sieht?
Und er sah ihn ja ein anderes Mal herabkommen,
beim Sidr-Baum des Endziels,
bei dem der Garten der Zuflucht ist.
Als den Sidr-Baum überdeckte, was (ihn) überdeckte,
da wich der Blick nicht ab, noch überschritt er das Maß.
Wahrlich, er sah von den Zeichen seines Herrn die größten.
Was meint ihr wohl zu al-Lāt und al-ʿUzzā
und auch zu Manāt, dieser anderen, der dritten?
Ist denn für euch das, was männlich ist, und für Ihn das, was weiblich ist (bestimmt)?
Das wäre dann eine ungerechte Verteilung.