Iranisches Kunsthandwerk (35 - Teppichmuster)
Sie haben bereits mehrere bekannte iranische Teppichmuster kennengelernt, wie das Fisch-Design und das Golestan-Design. Aber der iranische Teppich ist noch für weitere Muster bekannt. Natürlich ist deren Vielfalt zu groß, als dass wir sie alle in diesem Programm beschreiben könnten.
Wie gesagt sind einige wichtige Gruppen von Teppichmustern der Natur entlehnt und andere sind der Phantasie entsprungen, und zugleich gibt es Kombinationen von beiden Arten von Mustern. Darüber hinaus liefern auch Gebäude und Kacheldekor Ideen für eine weitere Gruppe von Teppichentwürfen. Die Abbildungen von realen Bauwerken auf Teppichen weichen in den Einzelheiten öfters vom Original ab, aber die Wesenszüge der Originalbauten bleiben erhalten. Die wichtigsten abgebildeten Bauwerke sind drei Bauwerke in Isfahan, nämlich die Scheich Lutfullah-Moschee, die Kuppel der Imam-Moschee sowie die Dschame-Moschee (Freitagsmoschee). Beliebt sind auch die Abbildung des Torbogeneingangs der Pilgerstätte des Imamzadeh Mahruq in Neyschabur (Nordostiran), die antike Burg von Tacht-e Dschamschid (Persepolis) bei Shiras in der Provinz Fars, und Taq-e Boston in Kermanschah im Westen des Landes.
Bis in die Gegenwart ist Geometrie einer der sinnvollsten und nutzvollsten Wissenschaften gewesen. Diese Wissenschaft ist dem Scharfsinn alter Philosophen zu verdanken und ist Grundlage für einige Künste. Die Geometrie nimmt in der Islamischen Kunst, in der das religiöse Denken der Muslime umfangreich zum Ausdruck kommt, einen besonderen Platz ein. So hat die Geometrie auch für das Teppichknüpfen eine wichtige Bedeutung. Bei einigen Teppichmustern kommen die Gesetze der Geometrie derartig zu Geltung dass sie als Tarh-e Hendesi (wörtlich geometrisches Muster), bekannt wurden. Ein solcher Teppich ist rektilinear gestaltet, d.h. das Muster auf solchen geometrisch gestalteten Teppichen setzt sich aus geraden und angewinkelten Linien zusammen. Diese Teppichmuster werden meist bei den iranischen Nomaden geknüpft und entspringen der Fantasie des Knüpfers bzw. der Knüpferin in Anlehnung an die natürliche Umgebung. Bekannte Bezeichnungen sind Hendesi Kaf-e Sadeh, (mit einfachem Feld) Hendesi Dschuschqan (Dschuschqan ist ein Landkreis von Kaschan), Hendesi Chaem-Schirazi, Hendensi Ladschak wa Torandsch (mit Medaillon in der Mitte und Viertelmedaillon in den 4 Ecken) und Hendesi Qabi (Rahmenaufteilung)
Bei den genannten Mustern kommt es nicht auf die Symmetrie an. Gerade das schlichte Hauptfeld verleiht diesen Mustern eine besondere Schönheit. Auch der Turkmenen-Teppich gehört in gewisser Weise zu den Teppichen mit rektilinearer Gestaltung.
Ein weiteres wichtiges Design für den iranischen Teppich ist das Mehrab-Motiv. Dieses Muster wurde in Anlehnung an die Gebetsnische in der Moschee entwickelt. Im Mehrab steht der Gebetsimam vor den Reihen der Gläubigen bei der Verrichtung des Gemeinschaftsgebetes. In den Moscheen liegt der Mehrab an der Seite, die in die Gebetsrichtung, nämlich die Kaaba in Mekka weist. Die Gebetsnische markiert damit auch, in welche Richtung sich die Betenden in der Moschee aufstellen sollen. Sie ist schön verziert.
Auf den Mehrabi-Teppichen wird die Gebetsnische mit Abbildungen von Säulen zu beiden Seiten oder Bäumen, Leuchtern und Blumenvasen verziert. Die Mehrab-Teppiche werden je nach dieser Verzierung auch: Mehrabi Qandili (Leuchter), Mehrabi Goldani (Blumenvase) oder Mehrabi Derachti (Baum) genannt. Eines der wichtigsten Besonderheiten eines solchen Teppichs besteht darin, dass über der Gebetsnische oder neben ihr Koranverse eingeknüpft sein können. Daher erfordert die Aufbewahrung und Benutzung eines solchen Teppichs, dass man die besonderen Regeln zur Achtung des Wort Gottes berücksichtigt.
Im Alten Iran glaubte man, dass der legendäre Kiumarth der erste König war und als erster mit seinen Heeresleuten auf die Jagd von wilden Tieren ging, diese erlegte oder für den Kampf gegen Feinde zähmte. Das Buch der Könige von Firdausi (Schah Nameh genannt) verbrieft unbestreitbar das Interesse der alten Iraner an der Jagd. In diesem unvergänglichen poetischen Werk werden im Laufe der spannenden Geschichten auch die Art und die Sitten der Jagd in alten Zeiten geschildert. Dem Werk ist zu entnehmen, dass die Jagd der Stolz der Könige und Mächtigen war und als Beweis für ihre Macht und Größe galt. Wie Firdausi schreibt, musste ein König jedes Jahr unter anderem durch seine Jagderfolge seine Macht unter Beweis stellen.
So kommt es, dass Jagdszenen eines der Motive für iranische Teppiche geworden sind. Die Darstellung der Jagd geht bis in die Zeit der Achämeniden, die vor Christus herrschten, zurück. Diese Jagdszenen in einer Landschaft voller Bäume, Blumen und Tieren wurden auf Stoffen, Sitzunterlagen und auf Wandreliefen abgebildet. Im Mittelpunkt stand die Abbildung des Königs, mit prächtigem Schmuck und der Krone auf dem Kopf, der gerade auf der Jagd ist. Auf alten Jagdszenen spielt sich das Geschehen noch in großen Gärten ab. In jüngeren Abbildungen bilden auch Berglandschaften den Hintergrund. Eine häufige Szene ist außerdem die eines Löwen, der einen Stier angreift – wir finden diese Szene an der Achämenidenburg Persepolis und auf anderen antiken Werken immer wieder. Aber in jüngeren Szenen trat an der Stelle des Stierbildes das Bild eines Panthers oder Tigers.
In den alten Jagdszenen erscheint in der Regel nur eine Person, nämlich der König. Wenn mehrere Jäger zu sehen sind, dann tragen sie alle festliche Gewänder, sind geschmückt und haben eine Kopfbedeckung wie Hüte oder Kronen – doch in der Regel ist einer der Jäger größer als alle andere , befindet sich in der Mitte der Szene und ist am prächtigsten geschmückt und gekleidet, woran man erkennen kann, dass er der König oder ein Prinz ist.
Cyrus Parham (geboren: 1928) hat zahlreiche Bücher und Artikel über den iranischen Teppich geschrieben. In einem seiner Werke, welches in Englisch als „Masterpieces of Fars Rugs“ erschienen ist, weist er logisch und anhand vieler Beispiele nach, dass die meisten iranischen Teppichmuster, auch wenn sie einen abstrakten Charakter zeigen, eine bestimmte Kultur und Weltanschauung symbolisieren. Er sagt, dass nach Beginn der Islamischen Ära diese Symbolisierung immer geheimnisvoller und verschlüsselter wurde und die Verfeinerung der Muster kein Ende fand. Diese Verfeinerung und Kompliziertheit geht aber auf eine innere Gesamtordnung zurück. Die Mystiker sagen: Es ist ein Weg um durch die Vielfalt an die Einheit zu gelangen.
Der iranische Teppichexperte Cyrus Parham stützt sich auf die Theorie des deutschen Kunsthistorikers Richard Ettinghausen (1979) über die iranischen Künste und definiert die Tradition der iranischen Teppichmuster Irans aufgrund der drei Merkmale „kräftige Farbenmischung“, „Hang zur Innovation“ und „Hang zu Idealen“. Die überwiegende Vielfarbigkeit und viele Pflanzen und Blütenmotive in den iranischen Teppichen deuten auf das Ideal eines Volkes hin, dessen Umwelt zum großen Teil trocken und niederschlagsarm ist. In der Tat ist der iranische Teppich – ob nun von einem Nomadenstamm, vom Lande oder aus der Stadt, das Resultat des unermüdlichen Bemühens eines Volkes, die flüchtige Wirklichkeit des grünen, bunten Frühlings festzuhalten und zu verewigen. Beim nächsten Mal wollen wir über die Farben des iranischen Teppichs sprechen.