Iran richtig kennenlernen (178 - Wilayat Faqih )
Den autoritären Systemen liegt die uneingeschränkte Macht ihrer Herrscher zugrunde. Aber im Islamischen System herrscht in Wahrheit nicht der Wali Faqih sondern Gott und die Regierung unter dem Wali Faqih basiert nicht auf dessen persönlichen Ansicht sondern auf Gottes Gebot. Der Wali Faqih erklärt lediglich die Gesetze Gottes und setzt sie um.
Wie gesagt ist die Verwaltung der Muslimischen Gesellschaft und die Umsetzung der Bestimmungen des Religionsgesetzes ein bedeutender Auftrag, und daher muss der Rechtsgelehrte, der an der Spitze der Islamischen Staatsordnung steht, entsprechende Kenntnisse besitzen. Er muss imstande sein, entsprechend der Erfordernissen seiner Zeit, Regeln des Islamischen Rechtes aus den Quellen nämlich dem Koran, der Vorgehensweise des Propheten, der Vernunft und dem Konsens unter den Rechtsgelehrten abzuleiten. Darauf wiesen wir bereits beim letzten Mal hin und sagten, dass ein gerechter Faqih seinen religiösen Pflichten treu bleibt und nicht seinen eigenen Wünschen folgt. Jemand der seinen eigenen Neigungen folgt. bringt niemals die Eignung zur Führung und Rechtleitung der Gesellschaft mit sich und möglicherweise wird er sich bei der Erklärung von Geboten und Gesetzen von seinen eigenen Interessen fehlleiten lassen. Der Wali Faqih – der zur Lenkung befugte Rechtsgelehrte – muss rein sein von schlechten Eigenschaften wie Geiz, Eifersucht, Gier, Gewaltsamkeit und List da solche Eigenschaften ihm und der Gesellschaft großen Schaden zufügen.
Der oberste Verwalter der Islamischen Gesellschaft muss wie gesagt die göttlichen Gesetze vollständig kennen, denn sonst kann er sie nicht richtig durchführen. Der Islamische Staat ist von Natur aus eine auf Gesetzen beruhende Ordnung. In diesem Staatsmodell sind alle, so auch die Mitglieder der Exekutive, verpflichtet, die Gesetze einzuhalten. Zudem sind alle vor dem Gesetz, welches aufgrund des Korans und der Sunna (Vorgehensweise) des Propheten (S) festgelegt wird, gleichgestellt. Niemand ist vom Gesetz ausgenommen, auch der Wali Faqih nicht. Als höchster Verantwortlicher des Staates darf er kein Unrecht begehen. Er darf nicht gegen das Gesetz verstoßen oder die Rechte von anderen verletzen oder sich vom Allgemeinbesitz etwas aneignen. Macht sich der Wali Faqih eines Vergehens schuldig, hat er die Bahn der Gerechtigkeit verlassen und verliert seine Eignung und Legitimität als Oberhaupt der Gesellschaft und wird seines Amtes enthoben. Grundsatzkriterien für die Standpunkte des Wali Faqih müssen die Werte und Regeln der Religion und die Vernunft sein. Seine Herrschaft ist nicht mehr legitim, wenn seine Entschlüsse auf persönliche Interessen, Egoismus und Streben nach dem Weltlichen zurückgehen.
Schnell bemerkt man, dass die Attribute eines Wali Faqih genau das Gegenteil zu den Eigenschaften von Herrschern in totalitären Systemen bilden. Der Herrscher eines totalitären Systems gängelt die staatlichen Einrichtungen und unterdrückt die Bevölkerung. Er betreibt diese Politik um seine Macht zu stabilisieren. In einer solchen politischen Ordnung hat nur eine Person die Regierungsmacht in der Hand. Dieser Herrscher geht so vor wie es ihm gefällt und hält sich nicht an das Gesetz.
Den autoritären Systemen liegt nämlich die uneingeschränkte Macht der Herrscher zugrunde. Aber im Islamischen System herrscht nicht der Wali Faqih sondern in Wahrheit Gott und die Regierung unter dem Wali Faqih basiert nicht auf dessen persönlichen Ansicht sondern auf Gottes Gebot. Der Wali Faqih erklärt lediglich die Gesetze Gottes und setzt sie um.
Im Vers 105 der Sure 4 (Nisa) wird dem Propheten (S) wie folgt offenbart:
„Gewiss, Wir haben dir das Buch mit der Wahrheit hinabgesandt, damit du zwischen den Menschen richtest auf Grund dessen, was Allah dich gelehrt hat. ...“
Der Prophet des Islams (S) hat also, obwohl er an der Spitze der Islamischen Gesellschaft stand, sich niemals wie gewaltsame Herrscher verhalten. Er hat, obwohl er viele Befugnisse hatte, immer Wert auf die Menschen gelegt und sie gütig und mit Nachsicht behandelt. Er hat sie nach ihrer Meinung gefragt und sich in wichtigen Angelegenheiten mit den anderen beraten. In einem Islamischen Regierungssystem müssen alle die Gesetze und Regeln des Religionsgesetzes einhalten.
Von Natur aus weist die Islamische Regierung, an deren Spitze der Wali Faqih steht, viele Gegensätze zu einer Diktatur auf. Im Gegensatz zu einem totalitären Herrscher handelt der Wali Faqih im Rahmen von konkreten Gesetzen und aufgrund konkreter Prinzipien. Er ist niemals berechtigt, nach eigenem Geschmack und eigener persönlicher Neigung einen Befehl zu erlassen. Der Wali Faqih erhält seine Legitimierung durch Gott, und das Volk ist der Rückhalt für seine Macht. Er ist nicht wie ein Diktator durch Gewalt und Willkür an die Macht gekommen und er möchte nicht mit Gewalt seine Herrschaft bewahren.
Genauso wie der Erhabene Prophet (S) beauftragt war, die Gebote Gottes und Verordnungen des Islams umzusetzen und Gott ihn zum Vorsteher des muslimischen Volkes bestimmt hat, sind auch die gerechten Rechtsgelehrten Lenker der Gesellschaft und müssen die Gebote Gottes verwirklichen und eine islamische Gesellschaftsordnung einführen.
Der Wali Faqih kennt nicht nur das Gesetz und hält es ein, sondern eines seiner wichtigsten Attribute ist seine Gerechtigkeit, eine Eigenschaft, die Diktatoren fehlt. Der Gerechtigkeitssinn des Wali Fagih veranlasst ihn dazu, persönliche Interessen bei der Verwaltung des Islamischen Systems außer Acht zu lassen und nicht nach Macht oder weltlichen Genüssen zu streben. In der islamischen Staats- und Gesellschaftsordnung genießt der Herrscher keine Bevorzugungen. Er ist vor dem Gesetz wie alle anderen Bürger gleichgestellt. Der Wali Faqih ist ein für die Führung geeigneter kluger Religionsgelehrter und teilt der Allgemeinheit das, was er aufgrund Wissen aus der Lehre der Religion ableitet, mit, damit es in der Praxis realisiert wird. Er ist verpflichtet, sich selber als Erster an diese Weisungen zu halten.
Sobald der Islamische Herrscher diese Eigenschaften verliert, wird seine Wilayat – seine Regierungsbefugnis- hinfällig.
Der verstorbene Vater der Islamischen Revolution Iran, Imam Chomeini (Gott habe ihn selig) beseitigt die Skepsis hinsichtlich der Verwandlung eines Regierungssystems aufgrund der Wilayat-e Faqih in ein autoritäres System indem er wie folgt argumentiet: „Die Wilayat-e Faqih ist etwas was Gott der Höchsterhabene geschaffen hat ... Der Faqih (religiöse Rechtsgelehrte) übt keine Gewalt gegen die Bevölkerung aus. Wenn ein Faqih Gewalt ausüben will, dann wird er nicht mehr über die Wilayat – das Amt des Verwalters – verfügen.“
Die Gerechtigkeit wird hinsichtlich Herstellung der Rechte des Volkes, dem Steuereinzug , der Durchführung der Strafgesetze und der Nutzung von Allgemeineigentum nicht zum Zuge kommen, falls ein Herrscher ungerecht ist. Ein ungerechter Herrscher wird möglicherweise inkompetenten Freunden und Verwandten Posten überlassen und aus dem Bait-ul Mal der Muslime – der Islamischen Gemeinwohlkasse - Gelder und Güter entnehmen um sie für die eigenen Vergnügen und Vergnügen seiner Leute zu verwenden.
Im Gegensatz dazu sind Gesetzestreue und Gerechtigkeit zwei wichtige Attribute eines Wali Faqihs.
Weil die Lehren des Islams ein geordnetes Ganzes bilden, erfordert die Führung der Islamischen Gesellschaft ein entsprechendes umfassendes Expertenwissen. Aber der Wali Faqih muss nicht nur den Koran und die Islamischen Gesetze kennen und gerecht und gottesfürchtig sein, sondern auch eine kluge Führungskraft darstellen. Deswegen muss er umfassend und allseitig über die Lage des Landes und auf der Welt informiert sein. Es gehört zu den Pflichten des Wali Faqih, die Feinde der Muslime und ihre Methoden zu identifizieren, mit denen sie versuchen der Islamischen Gemeinde zu schaden. Ebenso ist er verpflichtet, geeignete Abwehrmaßnahmen zu planen. Jemand der nur die islamischen Gesetze beherrscht, ist also noch nicht geeignet die Islamische Gemeinde zu lenken. Imam Chomeini (r.h.) fordert, dass der Wali Faqih imstande sein muss genau zu erkennen, was zum Wohle der Gesellschaft ist. Er muss fähig sein, geeignete und nützliche Amtskandidaten von den inkompetenten Kräften zu unterscheiden, und in Bezug auf Politik und Gesellschaft über angemessene Standpunkte und Entschlusskraft verfügen. Sollte ein Rechtsgelehrter zwar tiefe Kenntnis über die islamische Jurisprudenz besitzen, ohne jedoch die Erfordernisse der Zeit und die geltenden internationalen Zustände einschätzen zu können, ist er nicht für die Lenkung der Islamischen Gemeinschaft in der heutigen komplizierten Welt geeignet.
Weitblick ist eine weitere Voraussetzung für den Wali Faqih. Ein Faqih der die Zukunft der Islamischen Gesellschaft nicht richtig einschätzt, wird keine effektive Lösungen und Vorkehrungen finden können und kann nicht die Wilayat – die Verwaltung der Gesellschaft - übernehmen. Denn er wird wie ein Steuermann sein, der sein Schiff planlos durch ein wogendes Meer an den Klippen vorbeizubringen versucht. Weitsicht und richtige Planung setzen wiederum geeignete Standpunkte in politischen und gesellschaftlichen Fragen beim Islamischen Staatsoberhaupt voraus, damit er die Ereignisse auf der Welt, insbesondere in den muslimischen Ländern, richtig analysiert und über die zahlreichen Tücken des Feindes des Islams und deren gängige Politik sowie die Grundsätze, welche bei den komplizierten internationalen Beziehungen herrschen, im Bilde ist.
Imam Dschafar (Friede sei mit ihm) sagt:
„Jemand der über seine Zeit im Bilde ist, wird nicht von Irrtümern überfallen.“
Jemand bringt also erst die Bedingungen für das Wilayat-e Faqih mit sich, wenn er neben Erfüllung der anderen Voraussetzungen, auch Führungskompetenz und die notwendige Entschlusskraft für Entscheidungen hinsichtlich der Verwaltung der Angelegenheiten der Gesellschaft aufweist.
Der Wali Faqih muss aber auch furchtlos sein. Er darf sich außer vor Gott vor keiner weltlichen Macht fürchten und sich nicht von den Drohungen der Feinde einschüchtern lassen. Sollte der Feind das Islamische Land angreifen, muss er mutig und konsequent Widerstand gegenüber den Aggressoren leisten und Leben und Eigentum der Muslime verteidigen. Ist der Regent eines Landes mutig, kann er dem Land und der Gesellschaft zur Erstarkung und Unabhängigkeit verhelfen.
Der Wali Faqih zeichnet sich auch durch seine Entschlossenheit hinsichtlich Verwirklichung der Anweisungen Gottes auf. Er berät sich mit Sachkundigen über die Angelegenheiten und teilt dann den zuständigen Regierungsorganen mit, welche Schritte zum Wohle der Islamischen Gesellschaft zu tun sind. Sollte der Regent einer muslimischen Gesellschaft jedoch wankelmütig in seinen Entscheidungen sein, nimmt die Achtlosigkeit und Nachlässigkeit in der Gesellschaft zu und bleibt die Durchführung des Gesetzes liegen.