Sinnvolle Wegzeichen der Ahl-ul-Bait (36 - das Warum der Regierung )
Wir sollten uns nun damit befassen, wie die Imame aus dem Hause des Propheten zu der Frage der Politik und des Regierens stehen. Dabei werden uns ihre Aussagen und ihr Vorgehen behilflich sein.
Darüber, dass das Gesellschaftsleben einer staatlichen Ordnung bedarf, hat der bekannte griechische Philosoph Platon gesagt: „Das Leben und die Erreichung von Tugenden ist für den Einzelnen nur möglich, wenn es einen Staat gibt. Denn die Natur des Menschen ist dem politischen und gesellschaftlichen Leben zugeneigt. Daher gehört die Existenz eines Staates zu den natürlichen Dingen, ohne die der Mensch nicht auskommt.“
Der muslimische Philosoph Ibn Chaldun, ein Wegbereiter der modernen Soziologie, hat ebenso die Existenz einer Regierung als notwendig betrachtet. Er argumentiert damit, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, und dies die Bildung eines Staates erforderlich mache.
In einer Gesellschaft muss es zur Verhinderung eines Chaos Gesetze und Bestimmungen geben, die das Leben und die Beziehungen zwischen den Menschen regeln. Die Existenz einer Gesetzgebung genügt für sich alleine natürlich noch nicht, sondern die Gesetze müssen auch durchgeführt werden. Es muss Organe und Institutionen geben, die die Gesetze geltend machen, das soziale Leben in Ordnung bringen, Sicherheit herstellen und die Angelegenheiten der Gesellschaft verwalten. Diese Institutionen bilden gemeinsam den Staat: die Regierung. In einer Gesellschaft ohne Regierung wird es Gesetzeslosigkeit geben und sie ist zum Untergang verdammt. Jeder gesunde Menschenverstand sieht daher schnell ein, dass es einfach eine Regierung und eine Gesetzgebung geben muss.
Der Islam, die jüngste und letzte Religion himmlischen Ursprungs, umfasst Gesetze und Anweisungen, die der Menschheit seitens Gott, dem Höchsterhabenen über Seinen Propheten Mohammad (S) vermittelt wurden. Gott ist Erschaffer der Menschen und kennt genau alle seine Wesenszüge und seine verschiedenen Seiten. Daher sind die Gesetze, die von Gott kommen, perfekt und besser als alle anderen Gesetze. Ihre Praktizierung gewährleistet sowohl für das diesseitige als auch für das kommende jenseitige das Wohl des Menschen. Der Islam ist das Gesetz, welches dem Leben der Menschen die Richtung weist und zur Ausführung dieses Gesetzes wird die Existenz einer islamischen Regierung notwendig.
Eine Analyse der historischen Quellen und Berichte über die Ereignisse nach der Auswanderung (Hidschra) des Propheten nach Medien macht deutlich, dass Prophet Mohammad (S)sofort nach Eintreffen in dieser Stadt eine Regierung gründete. Er ist der erste, der eine Islamische Regierung ins Leben rief und das Fundament für eine soziale und politische Ordnung legte, in deren Rahmen die Angelegenheiten der Muslime geordnet werden können. Nach seinem Verscheiden wurde der Islamische Staat noch weiter ausgebaut und entwickelte sich zu einer der größten damaligen Mächte.
Einige nehmen allerdings den Islamischen Staat zur Zeit des Propheten nicht richtig ernst und sagen, er habe nur die religiöse Führung der Muslime übernommen. Jedoch an den Ereignissen in seinem Leben zeichnet sich deutlich ab, dass er darüberhinaus die islamische Gesellschaft auch politisch angeführt hat. Nach der Gründung des Islamischen Staates hat er sich nicht nur der Lehre und Charaktererziehung der Muslime gewidmet sondern persönlich Verantwortung in verschiedenen Bereichen wie Rechtsprechung, Kultur, Politik und militärischen und wirtschaftlichen Fragen übernommen. Um den Islam zu schützen, bildete er eine geordnete Armee. Der Befehl zu Gefechten und zu Friedensschlüssen wurde von ihm erlassen. Mit einigen Gruppen schloss er Bündnisse und Verträge ab. Er stellte Pläne für die Wirtschaft und das Sozialwesen auf. Der Prophet sandte Gouverneure in die umliegenden Gebiete. Er entsandte Botschafter zu den Stammesoberhäuptern und den lokalen Herrschern und lud die Staatsoberhäupter anderer Weltreiche zum Islam ein. Durch den Bau von Moscheen hat er nicht nur einen Versammlungsort für das Gott-Dienen bereitgestellt, sondern auch ein Zentrum geschaffen, in dem politische , soziale und Regierungsangelegenheiten besprochen wurden. Er selber wirkte als Richter oder berief andere in das Amt des Richters. In Medina hat er insgesamt 12 Personen unter den beiden größten Volksstämmen in dieser Stadt nämlich den Aus und den Chazradsch ausgewählt. Diese 12 Personen hatten den Auftrag die Angelegenheiten ihres Stammes zu regeln.
Alles was wir eben angeführt haben, spricht dafür, dass es ein geordnetes System für die Verwaltung der Gesellschaft zur Zeit des Propheten gegeben hat. Wichtig ist es auch zu erwähnen, dass der Prophet universal dachte. Er wollte den Islam der ganzen Welt verkünden. Zur Erreichung dieses hohen Zieles war die Gründung eines Staates notwendig.
An der Frühgeschichte des Islams und der Vorgehensweise des Propheten ist deutlich zu sehen, dass die erstaunlich rasche Verbreitung des Islams auf der Welt in den ersten Jahrhunderten nach seinem Erscheinen und die Beständigkeit der islamischen Denkweise und Zivilisation der politischen Weitsicht des Propheten zu verdanken sind. Durch seine wohlüberlegten Strategien konnte der Gesandte Gottes aus einer Bevölkerung, die tief in eine Welt des Aberglaubens und falscher Sitten versunken waren, ein zivilisiertes Volk hervorbringen. Die Versöhnung zwischen den untereinander verfeindeten Volksstämmen und ihr friedliches Zusammenleben mit Nicht-Muslimen sind zweifelsohne den politischen und sozialen Maßnahmen des Propheten zu verdanken gewesen. Der Staat des Propheten wurde in Medina gegründet und nach der Eroberung von Mekka und der Arabischen Halbinsel wurde dieser Staat schließlich zu einer Weltmacht und konnte die Grenzen von Hidschaz – dem Gebiet von Mekka und Medina - überwinden und bis nach Spanien gelangen. Die Gründung des ersten Islamischen Staates durch den Gesandten Gottes liegt nun mehr als 1400 Jahre zurück. Aber dennoch können wir auch heute noch Wertvolles in Sachen Führung und Verwaltung einer Gesellschaft daraus lernen.
Die Notwendigkeit einer Islamischen Regierung lässt sich aber auch aus den Lehren des Korans ableiten. Zum Beispiel aus den Versen 58 und 59 der Sure 4(Nisa). Dort heißt es:
Allah befiehlt euch, anvertraute Güter ihren Eigentümern (wieder) auszuhändigen und, wenn ihr zwischen den Menschen richtet, in Gerechtigkeit zu richten. Wie trefflich ist das, womit Allah euch ermahnt! Gewiss, Allah ist Allhörend und Allsehend.
O die ihr glaubt, gehorcht Allah und gehorcht dem Gesandten und den Ul`il Amr, den Zuständigen unter euch (den Nachfolgern des Propheten)! Wenn ihr miteinander über etwas streitet, dann bringt es vor Allah und den Gesandten (und bittet ihn um ein Urteil), wenn ihr wirklich an Allah und den Jüngsten Tag glaubt. Das ist am besten und nimmt am ehesten einen guten Ausgang.
In diesen Versen wird auf Angelegenheiten hingewiesen, deren Durchführung eine Regierung und einen rechtschaffenen und mächtigen Regenten erfordert. Die Zuständigen sind aufgerufen, Anvertrautes zurückzugeben und ihrer Herrschaft Gerechtigkeit zugrunde zu legen. Die Gläubigen werden aufgefordert, Gott dem Propheten und den Ul`il Amr, d.h. den Statthaltern des Propheten, zu folgen und sich in Streitfragen an Gott und den Propheten zu wenden, d. h. sich nach dem Koran und der Vorgehensweise des Propheten (Sunna) zu richten.
Der Islam ist nicht getrennt von der Herrschaft zu sehen, denn ohne Regierung werden viele seiner Gebote und Gesetze ihre Effektivität verlieren, was gegen das islamische Denken und gegen den Willen Gottes verstößt. Die Bildung einer Regierung und die Übernahme der Verwaltung der Angelegenheiten der Gesellschaft sind Dinge, die für die Verwirklichung des Zieles der göttlichen Offenbarung und des göttlichen Gesetzes eine entscheidende Rolle spielen. Die Aufstellung der Islamischen Regierung garantiert für die Aufrechterhaltung der Verse und dafür, dass sie nicht an den Rand gedrängt werden. Gemäß der Lehre und gemäß der Vorgehensweise des Propheten und seiner Ahl-ul-Bait ist die Gründung einer Regierung und ist politische Macht nicht das eigentliche Ziel, sondern lediglich ein Mittel; ein Mittel, durch das sich die hohe Absicht verwirklicht lässt, die Menschen auf den rechten Weg zu bringen. Allerdings setzt dies voraus, dass die Regierung in der Hand rechtschaffener Menschen liegt. Wir werden noch ausführlicher auf dieses Thema eingehen.