Die Große Rückkehr (12)
Der Todesengel erscheint dem Sterbenden je nach seinem Befinden und seinen diesseitigen Taten in anderer Gestalt. Wir wollen nun die besonderen Zustände der Gottgläubigen und der Gott-Ungläubigen während der Hinwegnahme ihrer Seele beschreiben.
Die Todesaugenblicke sind für jeden schwer zu ertragen und jeder normale Mensch wird sie beim Betreten der Zwischenwelt erleben.
Jedoch sind diese Augenblicke je nach Intensität des Glaubens weniger qualvoll.
Es leuchtet ein, dass es umso schwerer fällt, die Welt zu verlassen, je mehr der Mensch an ihr hängt. Umgekehrt bereitet die Trennung der Seele umso weniger Leid, je wichtiger dem Menschen die wertvollen Gaben des Jenseits sind und je weniger es ihm nach dem Weltlichen verlangt. Der Schmerz, den ein solcher Mensch bei der Trennung von der stofflichen Welt erträgt, ist im Vergleich zu der Freude, die er beim Betreten in das Reich der Zwischenwelt empfindet, viel geringer. In Wahrheit verlässt er den materiellen Zwinger namens Körper und beginnt den Flug durch die höheren verborgenen Sphären.
Gott hat in seinen Koranversen in verschiedener Form über den Tod und die Befindlichkeit der Gläubigen und der Nicht-Gläubigen gesprochen. In einigen Versen gibt Er den Gläubigen frohe Botschaft und in anderen warnt er die Gottesleugner und Gottesverleumder. Im Vers 62 der Sure Yunus (10) verspricht Er: „Wisset, dass über Allahs Freunde keine Furcht kommen wird, noch sollen sie traurig sein.“ Diese Verheißung bezieht sich auf das diesseitige und jenseitige Leben.
Die Freunde Gottes sind diejenigen, die nichts Hässliches tun. Sie führen ständig Bilanz über ihre Taten und geben Acht. Keinen Augenblick lang vergessen diese Edlen ihren Brief der Taten und sind unentwegt um Läuterung ihrer Seele bemüht. Sie haben eine Stufe erreicht, auf der sie keine Angst und keine Bekümmernis mehr aus dem Gleichgewicht bringen kann.
Wenn der Mensch während der Benommenheit des Todes, im Grab und im Jenseits Qualen leidet, so ist dies nichts anderes als die Konsequenz schlechter Taten. Aber Gott verspricht, dass Seine Freunde keinen Kummer und keine Angst erleiden.
Im Allgemeinen ist der Mensch dann bekümmert, wenn ihm etwas verlustig geht, was er zuvor besessen und geliebt hat. Auch die Furcht des Menschen hat mit etwas zu tun, an dem er hängt und dass er wahrscheinlich in Zukunft verlieren wird, weshalb er sich wegen dieses Verlustes bereits vorher Sorgen macht. Alle diejenigen, die große Liebe zum vergänglichen weltlichen Leben hegen und im Grunde ihr Leben auf Illusionen aufbauen, quält der Gedanke etwas Geliebtes zu verlieren, wie zum Beispiel ihr Eigentum. In der Tat gehört es zum Leben, dass es zu solchen Verlusten kommt, denn das Diesseits basiert auf der Materie und diese ist einem Zerstörungsprozess unterworfen. Darunter leidet derjenige, der das Weltliche maßlos liebt. Die Wandlungen in der Materie stimmen ihn schon durch die Möglichkeit des Verlustes traurig und besorgt und er ist entsetzt, wenn er tatsächlich etwas Geliebtes verliert.
Aber die Freunde Gottes besitzen ein Herz, das frei ist von der Liebe zum Weltlichen. Sie streben auf dem Weg zur Heiligen Audienz Gottes weiter. Wie ein Meer hat sich ihr Wesen ausgedehnt und die Begrenztheit hinter sich gelassen. Wenn jemand ein wenig Wasser aus dem Meer entnimmt, oder etwas Wasser hineingießt, so hat es keinen Einfluss auf Qualität und Quantität des Meereswassers. Aber wenn einem kleinen Gefäß etwas Wasser hinzugefügt oder entnommen wird, so macht es sich bemerkbar. Wenn sich der Mensch auf das materielle Reich beschränkt, bleibt sein Wesen wie ein kleines Gefäß mit beschränkten Abmessungen. Ein solcher Mensch wird verzweifelt und ist am Boden zerstört, wenn er seine Frau oder ein Kind oder Verwandte oder Besitz oder eine gesellschaftliche Stellung verliert.
Über die Merkmale der Freunde Gottes sagt Imam Ali (a) in (Nahdsch-ul Balagha Weisheit 432):
„Wahrlich, die Allah Nahestehenden sind diejenigen, die auf das Innere des Diesseits schauen, wenn die (anderen) Menschen auf dessen Äußeres schauen; während sich die übrigen Menschen dem aktuellen Äußeren der Welt zuwenden, beschäftigen sie sich mit dem, was nach ihm kommt und ewig ist.“ Imam Ali sagt weiter (laut Chutbah (Predigt) 222 im Nahdsch-ul Balagha:
„Und in einer Periode nach der anderen und in Zeiten ohne Propheten hat es immer (Gottes-)Diener gegeben, denen Allah – ehrenvoll sind Seine Wohltaten – Eingebungen in ihre Gedanken gab und durch das Wesen ihres Verstandes sprach. Dank des Lichtes der Wachheit in Augen, Ohren und Herzen wissen sie die Tage Allahs zu schätzen und sie vermitteln Furcht davor, zur Abrechnung vor Gott zu stehen. …“
Gemäß Imam Ali werden diesen Gottesfreunden, die ihr Leben in Befolgung der göttlichen Anweisungen verbracht haben, die Qualen während der Benommenheit des Todes und die schlimmen Zustände im Grab und in der Zwischenwelt und dem Jenseits erspart.
Vielleicht meinen einige, dass kein Zusammenhang zwischen der Art des Todes von Gottesfreunden und ihrer Befreiung von Furcht und Kummer zu sehen sei und argumentieren, dass manche Gottesfreunde einen sehr schmerzhaften Tod erlebt haben, während einige der Gottesfeinde einen leichten Tod hatten.
Dazu ist zu sagen, dass die Art des Todes kein Indikator dafür ist, ob jemand in dem Augenblick wo er das Scheiden aus der Welt erlebt, Furcht und Kummer verspürt oder ungläubig ist.
Der Pharao hat seine gläubige Gemahlin Asieh unter der heißen Sonne festnageln und ihr einen schweren Steinklotz auf die Brust legen lassen. Aber Asieh hat in diesem Moment laut dem Vers 11, der Sure Tahrim ( Sure 66) auf das jenseitige Glück gehofft und gebetet:
"Mein Herr! Baue mir ein Haus bei Dir im Paradies und befreie mich von Pharao und seinen Taten und befreie mich von dem Volk der Ungerechten!"
Der äußere Verlauf des Sterbens ist also noch kein Indikator für die Gläubigkeit eines Menschen.
Gemäß Koraninhalt und den Überlieferungen lassen sich insgesamt vier Arten von Tod unterscheiden:
Einige haben einen sehr leichten Tod. Die leichte Trennung der Seele aus dem Körper gilt für die gläubigen Menschen, die ihr Leben für Gott und in Gehorsam zu Gott und Befolgung der Lebensart der Edlen aus dem Hause des Propheten (gegrüßet seien sie) verbracht haben. Imam Ali sagt (gemäß Bihar, Band 6,S.153): „Wenn Rechtschaffene sterben wird ihnen verheißen, dass sie sich freuen werden, und so finden sie Gefallen am Tod und das Ableben fällt ihnen leicht.“
Die zweite Gruppe sind gläubige Menschen, die jedoch mit Sünden behaftet sind. Diese Gruppe muss von den Folgen dieser Sünden befreit werden und oftmals ist ein harter Tod die Sühne für diese Sünden. Der Erhabene Prophet hat (laut Bihar, Band 6, Seite 151) gesagt: „Der Tod und seine Härten machen die wenigen Sünden, die Gläubige begangen haben, wieder wett, damit sie nach dem Tod keine weitere Strafe mehr erfahren und rein und geläutert zu Gott gehen.“
Die dritte Gruppe besteht aus einigen der Ungläubigen und Unrechttuenden, die einen leichten Tod haben. Dies liegt einerseits an der Gerechtigkeit Gottes, der niemanden für ein gutes Werk unbelohnt lässt, selbst wenn er ein Gottesleugner und Frevler war. Andererseits hat Gott auch geschworen, dass er dem Kafir – dem Gottesleugner – im Jenseits kein Wohl mehr zukommen lässt. Also werden seine guten Werke in dieser Welt belohnt.
Imam Sadiq (a) wurde gefragt, warum einige geläuterte Menschen mit gläubigen Herzen einen schweren Tod haben, während manchmal gottlose oder sehr sündhafte Menschen einen leichten Tod erfahren.
Der Imam antwortete: „Was der Gläubige beim Tod an Härten erfährt, dient dazu, dass er von seinen Sünden rein wird, damit er das Jenseits so rein und geläutert betritt, dass ihm der ewige Lohn Gottes gebührt … Und der leichte Abgang eines Ungläubigen dient dazu, dass ihm der Lohn für seine guten Taten im Leben gegeben wird und wenn er das Reich des Jenseits betritt, für ihn nur noch das zurückbleibt, was zu seiner Bestrafung führt.“ (Bihar ul Anwar, Band 6, Seite 153)
Imam Baqir (gegrüßet sei er) überliefert die Geschichte eines Propheten der Israeliten. Dieser sah auf seinem Weg von weitem einen gläubigen Mann im Todeskampf. Die eine Hälfte seines Leibes war unter einer Mauer eingeklemmt und die andere Hälfte ragte unter ihr hervor. Zugleich hatten sich wilde Tiere über ihn hergemacht und zerfetzten seinen Körper. Der Prophet war von dem Anblick dieser Szene erschüttert und ging schließlich bekümmert weiter. Daraufhin erreichte er eine Stadt und erfuhr, dass der Gouverneur dieser Stadt, ein verdorbener ungerechter Mann, gestorben war. Seine Leiche hatte man aufgebahrt und um ihn herum zu seinen Ehren glühende Kohlenbecken aufgestellt, von denen der Duft von Räucherware aufstieg, sich in der Luft verbreitete und sie mit Wohlgeruch erfüllte.
Angesichts dieser Szene sprach dieser Prophet der Bani Israel – der Israeliten zu Gott:“O Gott, ich bezeuge, dass Du der gerechte Herrscher bist und niemandem ein Unrecht zufügst. Jenen ersten Mann, der Dein gläubiger Diener war und der auch nicht einen Augenblick lang einen anderen neben Dich als Teilhaber gestellt hat, hast Du einen solchen Tod unter diesen schrecklichen Umständen erfahren lassen, aber diesem Herrscher, der auch nicht für einen Augenblick an dich geglaubt hat, lässt du eine solche Ehre zuteil werden. Was ist der Grund?“
Da offenbarte Gott ihm: „O Mein Diener! Wie du gesagt hast, bin Ich der gerechte Herrscher und füge niemandem ein Unrecht zu. Der erste Tote hatte noch eine Sünde bei Mir zu Buche stehen und Ich habe seinen Tod auf diese Weise geschehen lassen, damit es die Strafe für seine Sünde sei und damit er keinerlei Sünde mehr aufweist, wenn er zu mir kommt. Und jener ungerechte, frevlerische Mann hatte bei mir ein gutes Werk zu Buche stehen und ich habe diese Ehrung nach seinem Tod erfolgen lassen, damit ihm sein gutes Werk belohnt wird, und er, wenn er zu mir kommt, keinerlei Forderung für etwas Gutes mehr besitzt.“
Die vierte Gruppe sind schließlich diejenigen Sünder, die einen schweren Tod haben. Diese Pein ist die Einleitung und das Vorzeichen zum qualerfüllten jenseitigen Leben.