Moral - islamisch gesehen (2- Selbstkenntnis)
Was ist der Mensch aus islamischer Sicht? Darum geht es auch in diesem zweiten Teil unserer neuen Sendung über Moral im Islam.
Im ersten Teil haben wir gesagt, dass der Mensch als Erstes sich selber und seine besonderen Merkmale, mit denen ihn der Schöpfer alles Schönen ausgestattet hat, kennenlernt. Als Erstes haben wir die Erschaffung des Menschen in bester Form genannt und danach davon gesprochen, dass der Schöpfer ihm durch Einhauchen von Seinem Geist Unvergänglichkeit bescherte. Der Mensch ist also kein rein irdisches Wesen, sondern er steht über den anderen Geschöpfen, weil er eine himmlische Seite besitzt.
Mit anderen Worten: Der Mensch besitzt einerseits eine natürliche körperliche Schöpfung. Die islamischen Ethiker nennen diesen Erschaffungsteil des Menschen „Chalq“. Den anderen Teil des Menschen, der über der Natur steht, nennen sie „Cholq“ oder „Sirat“.
Bei der Beurteilung eines Menschen fällt der immaterielle Teil, Cholq oder Sirat ins Gewicht, denn er spiegelt dessen bleibende wahre Personalität wieder. Wie oft gibt es ja Leute mit einer schönen äußeren Erscheinung die jedoch keine moralischen, himmlischen Werte besitzen, um als etwas Besonderes zu gelten, und wie oft kommen äußerlich unscheinbare Menschen auf einer höheren Stufe zu stehen, weil sie sich mit hohen Eigenschaften geschmückt haben.

In unserem heutigen Zeitalter der Kommunikation und der technologischen und wissenschaftlichen Fortschritte wird bedauerlicherweise in erster Linie auf das Äußere des Menschen Wert gelegt, während die spirituelle Schönheit von Menschen weniger Beachtung findet. Das ist genau der Grund dafür, dass die moralischen und menschlichen Werte im jetzigen Jahrhundert immer mehr verblassen. Zweifelsohne wird die Menschheit, solange sie sich in diesen Bahnen weiterbewegt, niemals an Ruhe und Frieden gelangen, auch wenn sie in luxuriösen Häusern lebt und ein bequemes Leben führt. Es spricht bereits gegen diese Art von Zielorientierung, dass der Mensch sich auf diese Weise von dem hohen Rang entfernt, den Gott für ihn vorgesehen hat, nämlich Sein Stellvertreter auf Erden zu sein.
Die Berufung des Menschen, Gott auf der Erde zu vertreten, gehört zu den hervorstechenden Linien des menschlichen Porträts. Diese einmalige Stellung des Menschen war der Grund, weshalb sich die Thronengel Gottes gemäß den Versen 30 bis 34 der Sure 2, Baqara, auf Gottes Befehl hin, vor dem Menschen verneigen.
Gott wollte nur dem Menschen diese hohe Position geben. Ist es daher würdig, dass der Mensch diesen hohen Rang für schlechte Eigenschaften und Verdorbenheit und fragliche flüchtige Genüsse opfert und zum Einsturz bringt? Oder soll nicht der Mensch – im Gegensatz dazu – diesen Rang, den Gott für ihn vorsieht - durch Beachtung von Grundsätzen und moralischen Werten, die ihm bei der Vervollkommnung helfen, vor jeglichem Schaden schützen?!
Neben diesen beiden Vorzüge, die der Schöpfung des Menschen besonderen Glanz verleihen und seinen Wert gewaltig steigern, nämlich der eingehauchte göttliche Geist und der hohe Rang des Statthalters Gottes auf Erden, ziert außerdem die Fitra das Wesen des Menschen – nämlich die Gott gegebene, nach Gott strebende Natur des Menschen.
Mit anderen Worten ist das wahre Wesen des Menschen Gott zugewandt erschaffen worden. Allerdings kann es sein, dass diese eigentliche innere Natur in Staub eingehüllt wird, zum Beispiel durch ungünstige Verhältnisse in der Familie oder in der Gesellschaft, durch die Kultur, Politik und Wirtschaft. Dennoch handelt es sich nur um eine Patina und diese Patina kann die Fitra – das wahre, Gott zugewandte Wesen des Menschen – nicht verändern. Dies wird in dem Moment deutlich, wo der Mensch einem Unglück begegnet und die Hoffnung auf jegliche Hilfe aufgibt. Dann wendet er sich nämlich nur noch dem Einen Gott zu. Also ist die Gott zugewandte Fitra ein weiterer wichtiger Faktor und wenn jemand sein individuelles und soziales Verhalten nach dieser Fitra ausrichtet und sie sein Kompass ist, bleibt er auch den moralischen und menschlichen Grundsätzen und Werten treu und wird niemals zu den Anti-Werten neigen, die ihn zu Fall bringen.

Ein besonders wichtiger Aspekt der Erschaffung des Menschen besteht darin, dass Gott, der alles schön gestaltet, dem Menschen von Seinem Geist einhauchte. Der Koran beschreibt es wie folgt in den Versen 7 bis 9 der Sure 32 (Sadschda):
Der alles gut macht, was Er erschafft. Und Er machte die Schöpfung des Menschen am Anfang aus Lehm,
hierauf machte Er seine Nachkommenschaft aus einem Auszug aus verächtlichem Wasser.
Hierauf formte Er ihn zurecht und hauchte ihm von Seinem Geist ein, und Er hat euch Gehör, Augenlicht und Herzen gemacht. Wie wenig ihr dankbar seid!
Aufgrund dieses Verses weist das Wesen des Menschen nicht nur materielle Züge auf, die er mit den anderen Lebewesen gemeinsam hat, sondern er besitzt auch ein himmlisches, göttliches Element, wodurch er höher zu stehen kommt als die ganze Daseinswelt. Die Würde des Menschen wird ihm durch den göttlichen Geist verliehen. Dies lässt den Menschen ewig werden, während sein Körper mit der Zeit altert und schließlich der Vernichtung preisgegeben wird.