In Iran gerühmt, in der Welt berühmt (16 – Chorezmi)
Nachdem wir Ihnen Al Farabi und Al Biruni vorgestellt haben möchten wir Sie nun mit einer weiteren iranischen Persönlichkeit aus der Goldenen Ära der Islamischen Zivilisation vertraut machen. Es handelt sich um den Mathematiker und Astronomen Chorezmi (auch Chwarizmi).
Abu Dschafar Mohammad ibn Musa Chorezmi war nicht nur Mathematiker und Astronom, sondern auch Philosoph, Geograf und Historiker. Er lebte zur Zeit der Abbasiden. In welchem Jahr er genau geboren und wann er genau gestorben ist, weiß man nicht. Man weiß nur, dass er vor dem Jahr 185 nach dem Mondkalender –in Choresm zur Welt gekommen ist. Sowohl Ibn Nadim als auch Ibn Qifti, beides muslimische Historiker, sagen, dass er aus Choresm stammt. Auch sein Beiname Chorezmi liefert einen Hinweis darauf. Choresm heißt heute Chiwa. Es liegt im Süden des ehemaligen Großbeckens des Aralsees und gehört heute zur Republik Usbekistan. Der Ruhm Chorezmis als Wissenschaftler geht besonders auf seine Neuerungen in der Mathematik insbesondere in der Algebra zurück – auf Arabisch al-Dschabr. Kein Mathematiker des Mittelalters hat dermaßen Einfluss auf die Mathematik genommen. Deshalb hat man ihn auch den Vater der Algebra genannt. Der amerikanische Historiker George Sarton hat in seinem Buch namens „Einführung in die Geschichte der Wissenschaft“ das neunte Jahrhundert mit „Chorezmi-Zeitalter“ betitelt.
Die Werke und Forschungsergebnisse des iranischen Mathematiker Chorezmi werden immer noch genutzt. Sein Buch Hisab Al Dschabr wa-l Muqabala – „Rechenverfahren durch Ergänzen und Ausgleichen“ wurde ab dem 12. Jahrhundert nach Christus von bekannten Übersetzern des mittelalterlichen Europas in andere Sprachen übertragen. Seine größten Erfolge erzielte Chorezmi bei der Lösung von linearen und quadratischen Gleichungen. Sein Buch Dscham`wa Tafriq über Addition und Subtraktion, in dem er die indischen Zahlen benutzt, führte in Europa dazu, dass man die Römischen Zahlen durch die indo-arabischen Ziffern ersetzte. Diese Schreibweise der Zahlen wird heute auf der ganzen Welt verwendet.
Das Wort Algebra haben die Europäer von dem Begriff Al-Dschabr abgeleitet, welchen Chorezmi benutzt, und auch das Wort Algorithmus geht auf den Namen Al-Chorezmi zurück.
Als der abbasidische Kalif Mamun herrschte, wurde Al Chorezmi in das Bait-ul Hikma (Haus der Weisheit) aufgenommen – eine Gelehrengemeinschaft in Bagdad, die diesem Herrscher untergeordnet war.
Chorezmi hat zahlreiche Werke über verschiedene Gebiete der Wissenschaft verfasst. Dennoch gibt es nur wenig zuverlässige biografische Angaben über seine Person. Die Angaben über sein Geburtsjahr schwanken zwischen circa 164 und 184 nach der Hidschra (um 780 nach Christus) . Sein Todesjahr wird mit 232 nach der Hidschra und 850 nach Christus angegeben und diese Angabe ist verlässlicher.
In der Einleitung zu seinem Buch über Algebra hinterlässt er den Eindruck eines Menschen, der fest vom Islam überzeugt ist. In der Abhandlung Dschabr wa Muqabala schreibt er: „...Gott, der Mohammad (S) in einer Zeit als Propheten aussandte, wo sich das Bündnis der Menschen mit den Propheten aufgelöst hatte und die Wahrheit unerkannt blieb … Ein Prophet, der mit seinem Eintreffen die blinden Herzen sehend machte und durch den die Verirrten Rettung vor der Vernichtung fanden ...Gott hat Mohammad und seine Familie gegrüßt...“
Chorezmi scheint zu den Familien aus Transoxanien und Chorasan zu gehören, die nach Bagdad umsiedelten, nachdem der Abbasidenkalif Mansur diese Stadt als neue Hauptstadt gegründet hatte.
Nach dem Sturz der Umayyaden im Jahre 132 nach der Hidschra und nachdem die Abbasiden zu herrschen begannen, wurden die Iraner, die eine Hauptrolle bei der Machtübernahme der Abbasiden gespielt hatten, zum ersten Mal mit wichtigen Regierungsposten betraut. Das besondere Interesse der Iraner an der Mathematik, Astronomie, Medizin, Philosophie und weiteren wissenschaftlichen Zweigen führte mit der Zeit dazu, dass eine Reihe von abbasidischen Kalifen, beeinflusst von ihren iranischen Ministern und Regierungsbeauftragten, die Gelehrten unterstützen. Einige Jahre bevor Chorezmi zur Welt kam, war der Abbaside Harun im Jahre 160 nach der Hidschra an die Macht gelangt. Unter Harun gewann die iranische Familie der Barmakiden, die schon seit langer Zeit den Wissenschaften und der Unterstützung von Gelehrten gewidmet hatte, großen Einfluss und gelangte an ein außergewöhnliches Ansehen. Die Barmakiden nutzten alle ihre Möglichkeiten zur Übertragung von wissenschaftlichen Werken aus dem Mittelpersisch, dem Griechischen und dem Altsyrischen sowie die Fortschritte in Forschung und Philosophie.
Zu einer solchen Zeit wurde Mohammad Ibn Musa Chorezmi Mitglied des Bait-ul Hikma in Bagdad. Dieses „Haus der Weisheit“ wies eine Bibliothek auf und war das Zentrum für Übersetzungen sowie wissenschaftliche Forschungen und Schriften. Das Bait-ul-Hikma wurde in Nachahmung des Dara –l-ilm eingerichtet, jener wissenschaftlichen Lehrstätte, die es in der iranischen Stadt Dschundi Schapur zur Zeit der Sassaniden gab. Der Abbaside Harun gründete das wissenschaftliche Zentrum Bait-ul-Hikma in Bagdad und der Abbaside Mamun vollendete es.
Chorezmi fand große Beachtung am Hofe des Mamun. Er galt dort als der größte Mathematiker und Astronom und Berater für die Himmelsbeobachtungen im Bait-ul-Hikma. Es heißt, dass Mamun, dem das Bait-ul-Hikma gehörte, Chorezmi die Abteilungen für Indien überließ, was zeigt, dass dieser sich mit den Wissenschaften und Bräuchen Indiens auskannte. Chorezmi war damit beauftragt, einen Atlas mit Karten vom Sternenhimmel und von der Erde anzufertigen. Wahrscheinlich gehört er zu denen, die an der Messung des halben Längengrades der Erde teilgenommen haben.
Chorezmi soll, bevor er Mitglied des Bait-ul-Hikma wurde, nach Indien geschickt worden sein, damit er die indische Rechnungsweise erlernt. Nach seiner Rückkehr aus Indien hat er die beiden Werke: Hisab al Hind - indische Rechenverfahren und das al-Dschabr wa al Muqabalah geschrieben. Er hat die Resultate, welche die Griechen und Inder erzielt hatten, miteinander kombiniert und führte zur Weiterleitung von einer Summe von algebraischen Rechnungskenntnisse, welche die Mathematik nach ihm stark beeinflusste. Dieser iranische Gelehrte hat im 3. Jahrhundert nach der Hidschra – 9. Jahrhundert nach Christus – eine gediegene Wissenschaft eröffnet. Er nannte diese Wissenschaft Al Dschabr wa al Muqabalah – (Wiederherstellung und Ausgleich)- Mit Hilfe dieser Wissenschaft konnte er alle quadratischen Gleichungen seiner Zeit lösen und den Weg für die Lösung von Gleichungen höheren Grades ebnen. Der französische Forscher Aristid Marre schreibt: „Es gibt eine historische Angelegenheit, die sich heute nicht mehr leugnen lässt und zwar, dass es in Wahrheit Mohammad ben Musa Khowarezmi war, der den Völkern im neuen Europa die Algebra gelehrt hat.“
An den babylonischen Tafeln und den aus der indischen Antike erhalten gebliebenen Werken über Rechenverfahren ist zu sehen, dass die Babylonier und Inder bestimmte Formen quadratischer Gleichungen lösen konnten. Aber diese Lösungen dienten lediglich für ihr Alltagsleben und nicht der Weiterentwicklung der Mathematik. Es gab keine wissenschaftliche Beweisführung für sie. Der innovative Schritt Chorezmis bestand darin, dass er zunächst alle bekannten quadratischen Gleichungen seiner Zeit untersuchte und dann in der darauffolgenden Phase den Lösungsweg für eine jede von ihnen vorstellte und in der dritten Phase alle Lösungswege mit Hilfe der Geometrie nachwies. Auf diese Weise entstand die neue Wissenschaft namens Algebra. Dank der Übertragungen der Bücher dieses iranischen Gelehrten ins Lateinische fand diese Wissenschaft im Mittelalter Einlass in Europa und führte sowohl im Mittelalter als auch in der Renaissance zu einem großen Wandel in der Mathematik. Im 16. Jahrhundert haben die italienischen Mathematiker Niccolò Tartaglia und Gerolamo Cardaon, nachdem sie die lateinische Übersetzung von „Al Dschabr wa al Muqabala“ kennengelernt hatten, die Algebra zwecks Lösung von Gleichungen dritten Grades erweitert und einen weiteren wichtigen Fortschritt in der Mathematik erzielt.
Gemäß Chorezmi ist sein Werk „Dschabr wa al Muqabala“ ein Buch, mit Hilfe dessen die Menschen notwendige Angelegenheiten regeln können. In Wahrheit geht es nur im ersten Teil dieses Buches um Algebra im Sinne des heutigen wissenschaftlichen Begriffes. Der zweite Teil handelt von wissenschaftlichen Messverfahren und der dritte von der Erbaufteilung und ihrer Berechnung. Der bekannte iranische Poet und Mathematiker Khayyam (11. bis 12. Jahrhundert nach Christus) hat später die Algebra von der Arithmetik getrennt und als eigenständige Wissenschaft weiterentwickelt.