Moral – islamisch gesehen (33 - Kulturethik)
In diesem und nachfolgenden Teilen geht es um einen weiteren Themenbereich der islamischen Ethiklehre. Nachdem wir uns mit der persönlichen und der allgemeinen Moral sowie der Familienethik beschäftigt haben, wenden wir uns nun der Kulturethik zu. Sie ist von besonderer Wichtigkeit.
Ein wichtiges Merkmal für die Beurteilung der Völker ist ihre Kultur und ihr Zivilisationsstand. Ein Volk wird daher umso höher eingestuft, je würdiger und älter seine Kulturgeschichte ist.
Die Propheten Gottes können aus dieser Sicht gesehen und aufgrund von festen historischen Belegen als Begründer der ersten Zivilisationen der Menschheit gelten. Sie haben sich nämlich in der Mehrheit unter Völkern erhoben und ihre Religion verbreitet, die vorher jeglicher geeigneter kultureller Grundlagen entbehrten.
Ein exemplarisches Beispiel dafür liefert die Zeit, in der der Prophet des Islams unter seinem Volk erschien. Die vorislamische Zeit wird Zeit der Dschahiliyyat (Zeit der Unwissenheit) genannt, denn ihre typischen Kennzeichen waren Ignoranz und Verdorbenheit, Diskriminierung und Stammesstolz, Anhäufung von Reichtum und Götzenanbetung, Versklavung und Ungerechtigkeit und Klassenunterschiede, Unrecht und Unterdrückung der Schwachen und Armen. Dies waren die Missstände, die herrschten, als der geehrte Prophet des Islams (S) sich erhob, in Fortsetzung der Bewegung seiner Vorgänger eine grundlegend Revolution begann und die Voraussetzungen für die Entstehung einer großen Zivilisation schaffte.
Es ist beachtenswert, dass die ersten Verse die in der Hira Höhle dem Propheten in dieser Gesellschaft, die keine Wissenschaft kannte und in der die große Mehrheit weder lesen noch schreiben konnte, zum Lesen auffordern und vom Schreiben handeln. Es waren dies die ersten fünf Verse der Sure `Alaq (Sure 96), in denen es heißt:
"اقْرَأْ بِاسْمِ رَبِّکَ الَّذی خَلَقَ، خَلَقَ الْإِنْسانَ مِنْ عَلَق، اقْرَأْ وَ رَبُّکَ الْأَکْرَمُ، الَّذی عَلَّمَ بِالْقَلَمِ،عَلَّمَ الْإِنْسانَ ما لَمْ یَعْلَمْ"
Lies im Namen deines Herrn, Der erschaffen hat,
den Menschen erschaffen hat aus einem Anhängsel.
Lies, und dein Herr ist der Edelste (und größer als alles und alle),
( Er ist es) Der mit dem Schreibrohr gelehrt hat,
den Menschen gelehrt hat, was er nicht wusste.
Hätte der Prophet des Islams (S) in einem zivilisierten Land seine Kulturrevolution begonnen, wäre sie nicht so erstaunlich gewesen. Das Erstaunliche war, dass er mit seiner Bewegung ein rückständiges Volk, welches tief in Unwissenheit versunken war, dank seiner erleuchtenden Lehre und der göttlichen Offenbarung in ein Volk verwandeln konnte, das Kultur und Zivilisation schuf. Westliche Wissenschaftler und Orientalisten gestehen ein, dass der Prophet des Islams den Grundstein dafür legte, dass die Islamische Welt mehrere Jahrhunderte lang die Wiege der Zivilisation und Kultur gewesen ist.
Im Koran heißt es in der Sure 62 (Dschumua) im Vers 2:
"هُوَ الَّذِی بَعَثَ فِی الْأُمِّیِّینَ رَسُولًا مِنْهُمْ یَتْلُو عَلَیْهِمْ آیَاتِهِ وَیُزَکِّیهِمْ وَیُعَلِّمُهُمُ الْکِتَابَ وَالْحِکْمَةَ وَإِنْ کَانُوا مِنْ قَبْلُ لَفِی ضَلَالٍ مُبِینٍ"
Er (Der Eine Gott) ist es, Der unter den Schriftunkundigen einen Gesandten von ihnen hat erstehen lassen, der ihnen Seine Zeichen verliest, sie läutert und sie das Buch und die Weisheit lehrt, obgleich sie sich ja zuvor in deutlichem Irrtum befanden –,
Wir müssen wissen dass das Wort Ilm - Wissen - 775 mal , das Wort fikr (Denken, Gedanke) 479 mal und das Wort Aql (Verstand) 49 mal im Koran vorkommen und auch immer wieder die Rede von denen ist, die tiefer nachdenken.
Davon abgesehen hat Gott, der Allmächtige, im Koran auf Erscheinungen der Welt wie den Mond und die Erde, den Himmel und den Tag und die Nacht und die Meere geschworen, um auf die Geheimnisse der Natur aufmerksam zu machen und diejenigen, die nachdenken, anzuregen diese Geheimnisse aufzudecken. Sie sollen das All und die Ozeane erforschen und ihre Erkenntnis von dem Weisen Schöpfer erweitern und die Wahrheit erkennen, dass alle Dinge, groß oder klein, dank der weisen Planung Gottes erschaffen wurden und einem Ziel dienen.
Der geehrte Prophet des Islams (Gottes Segen sei auf ihm und Friede seinem Hause) hatte niemals eine Schule besucht oder einen Lehrer gehabt, aber er wurde mit dem göttlichen Wissen und der göttlichen Weisheit erleuchtet. Inspiriert von den offenbarten Koranversen hat er unentwegt seine Anhänger angespornt, sich Wissen anzueignen. Einmal sah er sich in der Moschee zwei Gruppen gegenüber. Die eine Gruppe widmete sich dem Gebet und die andere dem Erwerb von Wissen und der Lehre. Der Prophet freute sich über beide Gruppen und sagte, dass sie beide mit einer wertvollen Sache beschäftigt sind. “Aber”, so fuhr er fort, “ich bin von Gott ausgesandt worden, um die Menschen zu lehren und ihr Wissen zu vermehren.” Dann setzte er sich zu der Gruppe, die über Wissen sprach. (aus: Muniatul Murid)
Der Prophet (S) war von Gott, dem Weisen und Allwissenden, beauftragt, die Menschen den Koran und Weisheit zu lehren. In Wort und Tat setzte er sich dafür ein, das Wissensniveau der Gesellschaft zu steigern und unter ihr Wissensdurst hervorzurufen und diesen zu erhalten. Er hat (laut Usul-i Kitab, Kapitel “Ilm”) gesagt:
“Jemand, der den Weg zum Erwerb von Wissen beschreitet, den führt Gott zum Paradies, und die Engel breiten erfreut ihre Schwingen für ihn aus. Die Bewohner der Erde und des Himmels und die Fische im Meer bitten Gott um Vergebung für ihn.”
Ein besonderes Element, welches das Streben nach Wissen gemäß Islam gegenüber anderen Lehrschulen auszeichnet, ist in der Motivation zu sehen. Kennzeichnend für den islamischen Prozess von Wissenserwerb und Weiterleitung von Wissen ist die Motivation aufgrund des Glaubens an den Einen Gott und die Gott-Ergebenheit.
Einigen geht es darum, durch Wissen an Macht und Reichtum oder an Ansehen zu gelangen und so manch einer stellt später seine wissenschaftlichen Kenntnisse in den Dienst der Interessen von gewaltsamen Mächten. Doch die islamische Kultur besagt:
Auch wenn Wissen mächtig macht und zu Reichtum führt, so soll das Motiv zum Wissenserwerb und der Anwendung von Wissen immer religiös bleiben und im Zeichen Gottes stehen. Dann wird mit den Worten des Propheten Gottes (wie sie im Bihar-ul Anwar, Bd. 1, S. 171 stehen) Folgendes gelten:
“Anderen Wissen zu lehren, um Gottes Zufriedenheit zu erlangen, ist ein gutes Werk und dieses Wissen zu erwerben ist Gott-Dienen und ein Gespräch über Wissen ist eine Gottespreisung und der Einsatz von Wissen ist Dschihad – die Bemühung auf Gottes Wegen –, und es ist eine Sadaqa – eine Spende - jemanden dieses Wissen zu lehren, der es nicht wusste, und für jemanden, der die Eignung dazu besitzt führt es in die Nähe zu Gottes Audienz...”
Damit schließen wir für heute unser Heft über die Moral im Islam, um es das nächste Mal wieder für Sie zu öffnen.