In Iran gerühmt, in der Welt berühmt (29 – Abu-Said Abu-l Cheir)
Wir haben bereits eine Reihe von iranischen Berühmtheiten der Islamischen Zivilisationsära vorgestellt. Es waren Lyriker und Dichter darunter. Heute stellen wir ihnen eine Persönlichkeit vor, die dem Sufismus angehörte.
Der islamisch-iranische Sufismus liefert zweifelsohne das reichste literarisch-kulturelle Erbe Irans und findet heute noch seine Freunde in einer Welt, die der Spiritualität entbehrt. Bekannte Sufis Irans haben entschieden zu dieser islamischen Mystikbewegung beigetragen. Denn denkt man sich einige iranische Persönlichkeiten der Mystik weg, bleiben nicht mehr viele namhafte Vertreter dieser spirituell orientierten Bewegung übrig. In dem geografischen Region des Iraks gab es die iranischstämmigen Sufis Halladsch, Schibli und Dschunaid und in dem geografischen Teil Groß-Chorasan im Nordosten Irans Persönlichkeiten des Sufismus wie Bayazid, Charaqani und Abu Said Abu-l Cheir. Wollten wir außerdem die großen literarischen Werke des Sufismus und der Mystik aus der iranischen Literatur auf Neupersisch (Farsi) wegdenken, dann würde unser Literaturschatz sehr schmal, denn er verdankt diesen Werken in etwa seinen großen Umfang und seine Stärke.
Abu Said Abu-l Cheir ist ein bekannter Mystiker und zugleich Hadithkenner des 4. und 5. Jahrhunderts nach der Hidschra gewesen. Er lebte in Groß-Chorasan. Geboren wurde er 357 nach der Hidschra und dem Mondkalender und 967 nach Christus in der Ortschaft Mayhana, welche damals innerhalb der Grenzen Irans lag, und dort verstarb er auch im Alter von 81 , 440 nach der Hidschra, 1048 nach christlicher Zeitrechnung.
Groß-Chorasan wurde von den Ghaznawiden verwaltetet, einer türkischstämmigen Dynastie mit Sitz in Ghazna. Ihr Imperium reichte vom Westen Irans bis nach Ostindien hin. Gegen Lebensende erlebte Abu Said Abu-l-Cheir jedoch einen Machtwechsel. Chorasan gelangte in die Hände von türkischstämmigen Nomaden. Sie waren unter Anführung der Seldschuken aus Zentralasien vorgedrungen.
Der Vater von Abu Said handelte mit Heilkräutern. Er beschäftigte sich auch mit Mystik, hatte einige Befolger und rief zu Versammlungen zusammen, an denen Abu Said schon als Kind und Heranwachsender teilnahm. So schloss er durch seinen Vater und durch Freunde schon bald mit der Mystik und dem mystischen Pfad Bekanntschaft.
Abu Said studierte als erstes in seinem Heimatort Mayhana, der damals von Bedeutung war, Literatur und Theologiewissenschaften und wurde mit der arabischsprachigen Literatur vertraut. In Sarachs erwarb er Kenntnisse in Islamischen Rechtswissenschaften (Fiqh) und der Koranauslegung (Tafsir) sowie der Überlieferung (Hadith). Noch sehr jung, war er ein Schüler namhafter Lehrmeister der Gnosis (Irfan) wie der Mystiker Abu-l-Hasan Charqani und Abu-l Qasim Baschar Yasin. Er erreichte einen hohen Wissensstand in den Theologiewissenschaften.
Abu Said Abu-l Cheir fühlte sich vom Wesen her und durch die häusliche Erziehung und die spirituellen Lehren seiner Meister schon als Kind und Heranwachsender stark zur Gnosis hingezogen, und zwar so sehr, dass er schließlich seine anderen Studien alle abbrach und ein asketisches Leben und Zurückgezogenheit wählte. Er betrat den Weg der Mystik und zugleich begann er Schüler zu erziehen.
Wie der Literatur zu entnehmen ist, benutzte Abu Said Abu-l Cheir auf seinen Sitzungen und bei seinen Ansprachen laufend Verse – Sie stammten aus eigener Dichtung oder von vorhergehenden Poeten. Mit der Poesie untermalte er seine Reden auf eine faszinierende Weise. Über 1500 Doppelverse werden ihm zugeschrieben, von denen aber viele von vorhergehenden Dichtern stammen. Abu Said baute die Verse in den Text seiner Rede ein und zitierte sie aus dem Gedächtnis, um auf diese Weise seine Aussagen zu untermauern und seinen Schülern nahezubringen.
Die Forscher, die sich mit seinen Werken beschäftigt haben, nennen ihn allesamt den ersten Mystik-Dichter Irans. Sie sagen, dass er überhaupt der erste Gnostiker ist, der seine Gedanken in Reime gekleidet hat. Daher sei er in dieser Hinsicht den beiden bekannten iranischen mystischen Dichtern Sanai und Attar voranzustellen.
Es ist sehr schwierig, in dem Gesamtwerk von Scheich Abu Said Abu-l Cheir diejenigen Reime festzustellen, die von ihm selber stammen und viele Forscher meinen sogar, dass es nur wenige sind.
Dr. Mohammad Resa Schafii Kadkani, ein zeitgenössischer Wissenschaftler und Universitätsdozent, der die meiste Forschung über diesen namhaften iranischen Gnostiker betrieben hat , ist in diesem Zusammenhang der Meinung, dass mit Sicherheit einige Vierzeiler in dieser großen Menge von Gedichten von Abu-l Cheir selber stammen und er aufgrund dieser Gedichte zu den großen Dichtern gezählt werden darf.
Dr. Kadkani sagt: „Abu-l Cheir ist einer der bekanntesten Dichter der Farsi-Literaturgeschichte und der Begründer der mystischen Dichtung. Er hat die schönsten mystischen Vierzeiler verfasst und neben dem bekannten iranischen Dichter und Philosophen Chayyam die Vierzeiler-Dichtung (Ruba`i) vollendet. Zudem ist einer der größten Lehrer für Rechtschaffenheit, Reinheit und freies Denken.“
Viele Kenner glauben, dass Abu Said weniger ein Dichter war als vielmehr ein Freund der Dichtung. Gedichte gehörten fest zu seinem Leben und er hatte zahlreiche Gedichte im Gedächtnis. Aus einer Biografie, die einer seiner Enkel über ihn zusammenstellte, lässt sich schließen, dass er bereits im Alter von fünf, sechs Jahren seine Liebe zur Lyrik verspürte und diese Liebe bis ans Lebensende pflegte. Er nutzte die Poesie, um seinen Schülern mystische Inhalte zu vermitteln. Die Reime, die er benutzte, waren einfach und für alle verständlich. In dem Buch Asrar al Tauhid,(Geheimnisse der Einheit), eine Sammlung der Aussprüche und Erzählungen Scheich Abu-l Said Abu-l Cheir kommen zahlreiche solcher Gedichte vor.
Scheich Abu-l Said werden außergewöhnliche Fähigkeiten und Dinge zugeschrieben. Dazu gehörte seine Fähigkeit Gedanken zu lesen. Diese Fähigkeit ist vielen Sufis zu eigen und dies soll gemäß ihrer Überzeugung daran liegen, dass ihr Glauben stark ist. Es gibt viele Beispiele im Leben des Abu Said Ab-l Cheir über diese Begabung. Er muss schon als Kind erstaunlich intelligent gewesen sein. Später überraschte er seine Schüler damit, dass er ihre heimlichen Gedanken kannte. Er ist vor allem wegen dieser außergewöhnlichen Fähigkeit bekannt geworden. Dr. Schafii Kadkani sagt:
„Das Gedankenlesen bildet den Schwerpunkt der außergewöhnlichen Kräfte, die Abu-l Said Abu-l Cheir zugeschrieben werden. Auf diesem Wege konnte er eine große Gruppe von Menschen und insbesondere die breite Masse davon überzeugen, dass er mit solchen wunderbaren Gaben gesegnet ist. Die breite Masse konnte sich nämlich schlecht vorstellen, dass ein heiliger Mann keine Wunder, welche doch eine besonderen Gnade Gottes sind, aufweisen kann.“
Die Anhänger und Schüler von Scheich Abu Said Abu-l Cheir kamen teilweise aus seiner Familie. Sie gingen einem Handwerk oder Gewerbe nach oder betrieben Handel und zugleich fühlten sie sich verpflichtet, die Regeln eines spirituell orientierten Lebens einzuhalten. Scheich Abu Said stellte 10 Regeln als Wegweiser für diejenigen auf, die den gnostischen Pfad antreten wollten. Diese 10 Regeln wählte er unter den 18 Regeln aus, an die er sich selber in den aufeinanderfolgenden Abschnitten seines mystischen Pfades gehalten hatte. Zu diesen Regeln gehörte:
Die Tür des Hauses für die Bedürftigen und Unterdrückten offenhalten und in freien Zeiten die Gebote der Religion studieren, asketische Übungen vornehmen und den anderen dienen.
Im nächsten Teil erfahren Sie, liebe Hörerfreunde, noch mehr über diesen iranischen Mystiker.