Jul 09, 2022 04:19 CET
  • Im Iran gerühmt, in der Welt berühmt (33 – Abu Bakr ibn Schibli) 

Abu Bakr ibn Schibli ist der Name eines bekannten Mystikers iranischer Herkunft des 3. und 4. Jahrhunderts nach der Hidschra. Er lebte gemäß christlicher Zeitrechnung von 859 oder 861 bis 946 nach Christus.  Im heutigen Beitrag werfen wir einen Blick auf sein Leben und sein Wirken.

 

 

Abu Bakr ibn Schibli, der sich selber als „das geringste Geschöpf Gottes“ bezeichnete, ist entweder in Bagdad oder in Samara, auf die Welt gekommen. Seinen Beinamen Schibli führen Biographen wie Sulami und Yaqut Hamawi darauf zurück, dass er nicht aus einer irakischen sondern einer iranischen Familie aus Schebliyah stammte, einem Dorf in Osruschaneh , Transoxanien,  im damaligen Groß-Chorasan - gehörte. Sein Vater war Kammerherr am Hofe des abbasidischen Kalifen Mutasam. Schibli selber diente zunächst auch den Abbasiden als Kämmerer und Mutasam überließ ihm später die Verwaltung von Damawand (östlich von Teheran).

Über seine Hinwendung zum Sufismus heißt es:

Als er noch Verwalter von Damawand war,  erhielt er ein Schreiben aus dem Regierungssitz  Bagdad. Zusammen mit dem Befehlshaber von Rey und einer Reihe von anderen begab er sich mit diesem Schreiben zum Kalifen. Wie üblich schenkte ihm der Kalif ein prächtiges Gewand. Als Schibli auf dem Rückweg niesen musste, säuberte er Nase und Mund mit dem Ärmel dieses Gewandes, welches ihm der Kalif geschenkt hatte. Seine Reisegefährten brachten es dem Kalifen zu Gehör. Der wurde wütend. Er verlangte dass Schibli ihm die Robe zurückbringt, versetzte ihm einen Schlag in den Nacken und entließ ihn aus seinem Amt als Befehlshaber.

Schibli kam zu sich, nachdem ihm dies widerfahren war und er dachte bei sich:   „Wenn jemand das geschenkte Gewand des Kalifen wie ein Taschentuch benutzt, verdient er es, seines Amtes enthoben und bestraft zu werden. Wie steht es dann mit jemanden, der  das Gewand, welches der  Herrscher über die Welten, Gott, der Gepriesene, verliehen hat, zum Taschentuch werden lässt? Wie werden sie mit ihm verfahren?“

Es heißt, dass Schibli daraufhin  zum Kalifen zurückeilte und ihm sagte: „O Emir! Du bist nur einer von den Dienern Gottes und es missfällt dir, wenn das Gewand, das du jemanden verliehen hast, respektlos behandelt wird. Denn alle kennen den Wert des Gewandes, das du verschenkst. Wisse, dass der Herr der Welten, mir ein Gewand aus der Freundschaft zu Ihm und Wissen von Ihm geschenkt hat und es Ihm nie gefallen wird, dass ich es beim Dienen einer Seiner Diener in ein Taschentuch umwandle.“

Danach soll Schibli den Hof des Abbasidenkalifen verlassen und sich an den bekannten iranischen Gnostiker Dschunaid gewandt haben, um dessen Anhänger zu werden. Er war 6 Jahre lang der Schüler von Dschunaid, nach einigen Erzählungen auch 14 Jahre lang. Anfangs lehnte Dschunaid es ab, ihn als Schüler aufzunehmen. Er sagte ihm, er müsse erst betteln gehen, dann die Bevölkerung von Damawand um Verzeihung bitten und sich in den Dienst der muridan (der Schüler des Dschunaid) stellen.

                  

In dem Werk Tadhkirat al-Auliya (Erinnerung an die Freunde (Gottes) von Attar Neyschaburi heißt es:

Schibli suchte Dschunaid auf und sagte:

„Du kennst die Perle  der Gotteskunde und das Geheimnis der Nähe zu Gott: Verschenke oder verkauf sie an mich.“

Dschunaid antwortete: „Wollte ich sie verkaufen, so wärest du nicht fähig, den Preis dafür zu zahlen und falls ich sie dir schenke, dann weißt du sie nicht zu schätzen, weil du sie leicht bekommen hast. Es hilft dir nur, wenn du dich wie ich in dieses Meer wirfst, damit du mit Geduld und in Hoffnung an die Perle gelangst. Für die Kunde über Gott den Allmächtigen und um an das Geheimnis für die Annäherung an Ihn zu gelangen, musst du einen gewissen Handel betreiben.“

Schibli willigte ein und Dschunaid sagte:

„Als erstes geh ein Jahr lang betteln und betätige dich auf keine andere Weise.“ Schibli ging ein Jahr lang in Bagdad als Bettler umher,  aber niemand half ihm. Er kehrte zu Dschunaid zurück und berichtete ihm über dieses Jahr. Da sagte Dschunaid:

 „Nun, da du begriffen hast, dass du in den Augen der Leute nichts wert bist, wisse dich selber zu schätzen und erhoffe nichts von ihnen und sei unabhängig.“  Weil Schibli eine Zeitlang in Damawand geherrscht hatte, sagte Dschunaid ihm, dass er die dortige Bevölkerung um Vergebung für falsches Verhalten bitten muss. Da ging Schibli in Damawand von Haus zu Haus und bat um Verzeihung. Als er den Besitzer eines der Häuser nicht vorfand, zahlte er zum Ausgleich für das Unrecht, das er diesem angetan hatte,  in dessen Namen 100 Tausend Drachmen für einen guten Zweck.     

                                

Vier Jahre danach kam Schibli wieder zu Dschunaid. Es heißt dass Dschunaid noch immer Spuren des falschen Ehrgeizes an Schibli feststellte. Da schickte er ihn wieder zum Betteln. Schibli zahlte Dschunaid jeden Tag das erbettelte Geld, damit er es unter den Darwischen  verteilt. Abends ging Schibli hungrig schlafen. Ein Jahr später erlaubte Dschunaid dem Schibli, dass er an den Versammlungen  seiner Schüler teilnimmt, aber nur unter der Bedingung, dass er sich in den Dienst seiner Gefährten stellt. Schibli war damit einverstanden. Schibli diente geduldig ein Jahr lang den Gefährten des Sufi-Meisters. Als Dschunaid ihn schließlich eines Tages fragte, wie es um sein „Ich“ stehe, antwortete Schibli, er sei das geringste Geschöpf Gottes und der Sufi Dschunaid war sich sicher, dass er gläubig geworden ist und nannte ihn die „Krone der Sufis“.

               

Der Sufi-Scheich Ruzbehan Baqli, der im 12. Jahrhundert nach Christus lebte, hat noch andere Lehrmeister Schiblis beim Namen genannt, und einige andere sind auch der Meinung, dass Schibli ein Schüler des bekannten iranischen Mystikers Mansur ibn Halladsch war.  Der zeitgenössische iranische Historiker Dr. Zarinkub ist in seinem Werk „Dschostedschu dar Tasawwof Iran“ – Suche im iranischen Sufismus – der Meinung, dass Schibli mit einigen Aussagen, die nach außen hin dem Religionsrecht widersprachen, die Lehren des Halladsch verbreitet hat. Schibli lässt durchblicken, dass er mit Halladsch einer Meinung war  und in dem eigenen „Dschunun“ – „Irrsinn“  seine Rettung und in der Vernunft des Halladsch den Grund für dessen Märtyrertod sah.

Schibli hat viele Schüler ausgebildet aber einige Forscher, davon  der bekannte iranische Dichter Abdu-rrahman Dschami in seinem Werk Nafahat al- Uns (die Düfte der Vertrautheit (mit Gott)) , sind der Ansicht, dass er nur einen einzigen wahren Schüler hatte, nämlich Abu-l Hasan Ali ibn Ibrahm Husra. Dschami (15. Jahrhundert nach Christus)  schreibt, dass Schibli diesen Schüler wie sich selber als „verrückt“ bezeichnete und er meinte, dass zwischen ihm und Husra eine ewige Verbundenheit bestand. Laut Attar in seinem Tadhkirat al-Auliya forderte Schibli seine Schüler auf, alle Sünden  zu bereuen und empfahl ihnen sich ohne Reisegepäck auf den Weg zum Hause Gottes, zur Kaaba in Mekka, zu  begeben.

               

Der iranischstämmige Mystiker Schibli verstarb im Alter von 87 und wurde im Khaizaran-Friedhof von Bagdad beigesetzt. Er ist um 946 nach Christus gestorben (334 oder 335 nach der Hidschra). 

Es liegt uns kein eigenes Werk von Schibli vor, aber in den biografischen Hinweisen auf ihn  werden  seine  Aussprüche und Fingerzeige, Bittgebete, Gedichte und Geschichten mit mystischer Tiefe erwähnt. Zu den zuverlässigen Quellen  für die Worte und mystischen Erlebnisse Schiblis gehören die Bücher des bekannten iranischen Dichters und Mystikers Attar Neyschaburi, der im 6. Jahrhundert nach der Hidschra, das heißt im 11. und 12. Jahrhundert nach Christus gelebt hat.  In seinem Tadhkirat al-Auliya (Erinnerung an die Freunde (Gottes)) widmet Attar einen Abschnitt dem Leben und der spirituellen Stufe des Schibli und im Mantiq ul Tair (  die Vogelgespräche) sowie im Ilahiname bringt er in poetischer Form einige Erzählungen  über Schibli.

 

Ibn Arabi (verst. 1240 n. Christus) schreibt in seinem Al Tadschalliyat al-ilahiyah – dass er auf zwei spirituellen Stufen Schibli begegnet sei und in seinem Werk Futuhat al Makkiyah (die mekkanischen Offenbarungen) bringt er wundersame Geschichten aus dem Leben des Schibli und Zitate von ihm.  Der irakische Philosoph Kamal Mustafa Al-Schaibi, (verstorben 2006)  hat eine Gedichtsammlung von  Abu Bakr Schibli herausgegeben.

                         

Forscher sind der Meinung, dass  Schibli  in der Geschichte der iranischen Mystik durch vier Eigenschaften  auffällt:

Erstens legte er in der Mystik  wie der bekannte iranische Mystiker  Bayazid Bastami  den Schwerpunkt stark auf die Gottesliebe  und zählt zu den Anführern der von der Liebe geprägten Mystik. Attar Neyschabur schließt aus den Gesprächen zwischen Schibli und Dschunaid, dass Schibli die Faszination  durch Gottesliebe   den asketischen Übungen voranstellte, d.h. er war der Ansicht  erst wird der Mystiker von der Gottesliebe  erfüllt und dann beginnt er die asketischen Übungen. Dschunaid und seine Anhänger meinten jedoch, dass der Gottesdiener durch Anstrengungen und asketische Übungen die Gottesliebe auf sich ziehe und dann erst erleuchtet werde.

Zweitens war Schibli  ein Mystiker der mit seinen unüblichen Taten zu den so genannten „verrückten Weisen“ zählte. Es heißt über ihn, dass er manchmal derart in eine unkontrollierte Berauschtheit geriet, dass er verrückte Dinge tat und deshalb mehrmals ins Irrenhaus gebracht wurde. Ibn Arabi hat in seinem Buch Futuhat al Makkiya den Zustand, in den Schibli in der mystischen Berauschtheit versetzt wurde, mit den Zuständen des bekannten Bahlul verglichen. Bahlul war ein Schüler von Imam Sadiq (F) und ein weiser Mann gewesen. Er hat den Verrückten gespielt, um der Verfolgung durch den abbasidischen Kalifen zu entgehen. 

Drittens war Schibli ein Mystiker, aus dessen Mund manchmal im Zustand der durch Gottesliebe bewirkten Trance Dinge kamen, die nicht mehr mit dem, was die Religion gebietet und lehrt,  im Einklang standen.  Schibli drückte sich manchmal bei der Erklärung von mystischen Begriffen kompliziert aus. Abu Nasr Sarradsch (gest. 998 n.Chr.)  hat diese Art von paradoxen Aussagen Schiblis in seinem Buch Al Luma fil Tassawof (die Lichter des Sufismus)   und Ruzbehan   Baqli in seinem Scharh-i Schatahat (Erklärung zu den paradoxen Formeln)  kommentiert.

Wegen seiner paradoxen Formeln zählt der persische Sufi-Schriftsteller Hudschwiri ( gestorben 1077 n. Christus)        Schibli in seinem Kaschf ul Mahdschub -  (die Enthüllung des Verschleierten)  zu den Wundern der Welt der Mystik.

Dr. Zarinkub schreibt in seinem Buch über den iranischen Sufismus, dass die paradoxen Formeln des Schibli manchmal noch kühner waren als die des Bayazid und Halladsch. Trotzdem sei Schibli vor seinen Gegnern verschont geblieben und ihm sei nicht das gleiche Schicksal wie dem Halladsch widerfahren, weil er seine paradoxen Aussprüche poetisch gestaltete , irres Verhalten an den Tag legte und zudem weder mit schiitischen Elementen noch mit den Gegnern des Regierungsapparates  verbunden war.

Die vierte wichtige Eigenschaft des Schibli besteht darin,  dass er neben anderen Mystikern wie die Mystikerin  Rabi`a al Adawiyya al Qaysiyya und der ägyptische Mystiker Dhul-Nun al Misri (verstorben 859 nach Chr.) zu den Wegbereitern der mystischen Dichtung in Neupersisch gehört.