Islam richtig kennenlernen Teil 5
Wir widmen auch diesen Beitrag den besonderen Vorzügen des Islams, besonders seiner Flexibilität.
Im letzten Teil sagten wir, dass die Lehren des Islams von ihrem charakteristischen Eigenschaften her in allen Epochen die Bedürfnisse des Menschen erwidern können. Wir behandelten auch die Frage wie eine Lehre, die vor 14 Jahrhunderten von Gott zur Wegführung des Menschen auf die Bahn zum Glück offenbart wurde, in der Lage ist, sich an eine ständigem Wandel unterworfenen Welt anzupassen.
Wir wiesen auch darauf hin, dass zur Beantwortung dieser Fragen nach zwei Arten von Bedürfnissen zu unterscheiden ist, nämlich den primären und den sekundären. Die primären Bedürfnisse gehen auf die Angelegenheiten des Menschen aufgrund seiner Triebe und seiner Gott gegebenen Veranlagung (Fitra) zurück. Es sind Bedürfnisse die solange der Mensch existiert bestehen, zum Beispiel das Nahrungsbedürfnis oder das seelische Bedürfnis nach Gottesanbetung oder Zusammenarbeit mit den anderen.
Die anderen Bedürfnisse die wir nannten waren sekundäre Bedürfnisse, wie das Bedürfnis nach Gegenstände für das Leben oder nach Änderung der Kommunikationsformen. Diese sekundären Bedürfnisse ändern sich entsprechend dem Wandel im Laufe der Zeit.
Es ist schnell festzustellen, dass die primären Bedürfnisse sich niemals ändern. Was sich ändert, sind die sekundären Bedürfnisse, weil sich im Laufe der Zeit entsprechend den Bedingungen, die Art wie der Mensch die primären Bedürfnisse stillt, ändert. Ostad Motahhari sagt über die Erfordernisse der Zeit: Die Erfordernisse der Zeit sind die Erfordernisse der Umwelt, Gesellschaft und des Lebens. Da der Mensch mit der Kraft des Verstandes, dem Erfindungsgeist und der Entscheidungskraft ausgerüstet ist und ein besseres Leben möchte, führt er immer bessere Meinungen und Gedanken und Faktoren und Mittel zur Deckung seiner wirtschaftlichen und sozialen und spirituellen Bedürfnisse ein. Die Einführung besserer Faktoren und Mittel hat automatisch zur Folge, dass alte und mangelhafte Faktoren weichen und der Mensch sich an neue Mittel gewöhnt und sie bevorzugt. Die Liebe des Menschen zu einer Reihe von materiellen und immateriellen Bedürfnissen und der ständige Wandel der Faktoren und Mittel, mit denen er diese Bedürfnisse beseitigt, ruft für sich eine Reihe von neuen Bedürfnissen für den Menschen hervor. Dadurch ändern sich die Erfordernisse der Umgebung, Gesellschaft und des Lebens in jedem Zeitalter und der Mensch ist gezwungen sich an die neuen Voraussetzungen anzupassen.“
Das System der islamischen Gesetzgebung lässt es zu, dass angesichts der unterschiedlichen zeitlichen und örtlichen Bedingungen entsprechend den aktuellen sekundären Bedürfnissen neue Gesetze aufgestellt werden. Da der Islam eine umfassende Religion ist, berücksichtigt er die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse in allen Zeitepochen.
Das System der islamischen Gesetzgebung hat für die festen und elementaren Bedürfnisse des Menschen, feste Bestimmungen vorgelegt und stellt für seine sekundären Bedürfnisse, sekundäre, variable und flexible Gesetze auf.
Allama Tabatabai, der bekannte Koranexeget, sagt:
„Der Islam erwidert die veränderbaren Bedürfnisse der Menschen in jedem Zeitalter und an jedem Ort. Er deckt die Bedürfnisse der menschlichen Gesellschaft, ohne dass die festen Bestimmungen des Islams verändert oder annulliert würden. Jegliche neue Bestimmung, welche der Weiterentwicklung des Gesellschaftslebens nützt und zum Wohl des Islams und der Muslime ist, fällt unter die Befugnisse des Wali (hakim-i- schar`- Vorbild religionsrechtlicher Nachahmung) und es besteht keinerlei Verbot für ihre Aufstellung und Durchführung. Diese besondere Eigenschaft erlaubt es dem Islam, immer parallel zu den Erfordernissen der Zeit und den Lebensveränderungen, die Bedürfnisse des Menschen und der Gesellschaft zu erwidern.“
Der Islam zieht die Methode des Idschtihad zur Einführung von sekundären Gesetzen heran. Idschtihad bedeutet: rationale und wissenschaftliche Bemühung um die Ableitung von religiösen Gesetzen. Der Islam wird jede neue Frage, mit der die Menschheit konfrontiert ist, mit Hilfe des Idschtihads – der selbständigen Ableitung von Rechtsurteilen durch einen Mudschtahid beantworten können. Diese Religion gestattet den qualifizierten Religions- und Rechtsgelehrten, auf der Basis der festen Grundsätze und Gesetze des Islams entsprechend der Erfordernisse der Zeit gesetzliche Bestimmungen zu erarbeiten. Der Islam hält den Weg für die Bemühung um rationale Erschließung der Religionsgesetze frei. Wir haben damit einen weiteren Beweis dafür vorliegen, welchen hohen Platz die Rationalität und das Denken in dieser bedeutenden Religion einnehmen.
Die religiösen Quellen beschränken sich also nicht nur auf den Koran und die Sunna (die Verhaltensweise des Propheten) sondern auch die Vernunft ist eine Quelle zur Erschließung von religiösen Gesetzen und Geboten, wobei diese Bestimmungen allerdings auf der Grundlage der Lehre des Korans und der Sunna aufbauen.
Um uns ein besseres Bild davon zu machen, wie sehr der Islam den zeitlichen und örtlichen Erfordernissen angepasst ist, sollten wir die Religion nach ihren wichtigsten Bestandteilen untersuchen, nämlich: Überzeugungen, Moral und Gebote.
Die Überzeugungsprinzipien sind fester Bestandteil der Religion und gelten zu jeder Zeit und an jedem Ort, ohne verändert werden zu können. Die Änderung in einem Glaubensgrundsatz würde die Annullierung des vorherigen bedeuten. Daher ist eine solcher Veränderung in Bezug auf die selbstverständlichen festen religiösen Grundsätze nicht möglich.
Ein Beispiel: Der Glaube an den Einen Gott und daran, dass Mohammad (Gottes Segen sei auf ihm und Friede seinem Hause) Sein Prophet ist, gehört zu den festen, unveränderlichen Glaubensprinzipien des Islams und ändert sich unter keinen Umständen. Das einzige was in diesem Bereich einen Wandel erfahren kann, ist die Beweisführung für diese Grundsätze, d.h. mit der Zeit können noch bessere und präzisere Argumente für eine Einsicht dieser Glaubensprinzipien gefunden werden. Ein solcher Wandel ist also kein Wandel der Religion sondern ein Wandel des Wissens über sie und ein Wandel der Erkenntnismethode.
Zu den moralischen Werten ist ebenso zu sagen, dass die generellen Grundsätze und Regeln sich nicht ändern. Gerechtigkeit, Gottesfürchtigkeit, Bekämpfung des Unrechts, Rechtschaffenheit, Opferbereitschaft und Menschenliebe sind immer gut und erwünscht. Umgekehrt sind Unrecht und Diskriminierung, Verletzung der Rechte anderer und Egoismus immer hässlich und unwillkommen.
Bei den Geboten und Gesetzen der Religion verhält es sich etwas anders. Hier wird nach festen und veränderlichen Geboten unterschieden. Bei den festen Geboten tritt niemals eine Veränderung ein, wie zum Beispiel der Pflicht zur Verrichtung des Gebetsrituals, dem Fastengebot und dem Hadsch oder der Pflicht zur Verteidigung des Islamischen Reiches. Aber bei den veränderlichen Geboten des Islams, wie zum Beispiel über die Art der Verteidigung der Islamischen Heimat, kann es sein, dass es je nach den zeitlichen und örtlichen Bedingungen zu Änderungen kommt. Diese veränderlichen Gebote werden von einem Mudschtahid, einem Religionsexperten, der die Grundlagen des Islams genau kennt, erarbeitet und festgelegt.
Natürlich erfordern die Verwaltung der Gesellschaft und das Regierungsprogramm entsprechend einer Zeitepoche auch geeignete Gesetzesbestimmungen. Diese müssen für verschiedene Bereiche, wie Wirtschaft und Gesellschaft, die Politik und die Justiz aufgestellt werden. Aus islamischer Sicht kann das Oberhaupt der Regierung auf der Grundlage des Korans und der Sunna Gesetze zum Wohl der Gesellschaft und zur Beseitigung der Probleme der Bevölkerung aufstellen. (höchstes Regierungsoberhaupt sind der Prophet Gottes, die Makellosen Imame aus seinem Hause oder bei deren Abwesenheit der Wali Faqih – der befugte Rechtsgelehrte als Statthalter).
Der befugte Rechtsgelehrte oder islamische Herrscher muss genügend Kenntnis über die Erfordernisse seiner Zeit besitzen, denn die Kenntnis von den wichtigen Entwicklungen und Ereignissen in der Politik, Gesellschaft und Wirtschaft der Gegenwart, spielen eine entscheidende Rolle bei der Herausgabe von sekundären Gesetzen.
Der iranische Gelehrte Ajatollah Makarem Schirazi schreibt über die festen und variablen Gesetze im Islam:
„Der Mensch der heutigen Zeit ist hinsichtlich seiner Fitra (Ur-Natur) und der Triebe und unveränderlichen natürlichen Neigungen, wie der Mensch im 10. Jahrhundert. Seine Menschlichkeit und die Eigenheiten seines Wesens haben sich nicht geändert. Außerdem ändert sich im Laufe der Zeit nichts daran, was auf individueller und Gesellschaftsebene zum Wohl ist oder ein Übel bedeutet. Für diese Dinge muss es also feste und ewige Gesetze geben. Zum Beispiel bleiben Lügen, Betrug und Zügellosigkeit immer hässlich und verderben die Gesellschaft. Daher muss auch das Verbot für sie beständig bleiben, denn die Schäden dieser Taten bleiben die gleichen, auch wenn sich die Form der Gesellschaft ändert. Ebenso müssen die Gesetze bezüglich der Läuterung der Seele und der moralischen Tugenden wie die Menschenliebe und das Verantwortungsbewusstsein und die Beachtung der Gerechtigkeit immer gelten und dürfen keine Änderung erfahren.“
Bezüglich der veränderlichen Bedürfnisse des Menschen sagt dieser Gelehrte weiter:
„Es gibt jedoch Angelegenheiten, die zeitlich und örtlich bedingt sind und ständig Veränderungen erfahren. Zum Beispiel die alltäglichen Fragen in der Wirtschaft, der Kultur, Politik und Gesellschaft. Diejenigen Gesetze, die diese Angelegenheiten betreffen, können gemäß Islam unter Wahrung der Grundsätze und Werte, die über ihnen stehen, dank der selbständigen Rechtsfindung (Idschtihad) durch den dazu befugten Rechtsgelehrten und durch sachkundige wissenschaftliche Überprüfung geändert werden.“